Fehler mit schweren Folgen
Verschärfte Kontrollen nach Scheitern des Jungfernfluges - Zweiter Start der europäischen Rakete Ariane 5 soll ein Erfolg werden

VON ANGELA KUNWALD

Weltraumbahnhof Baikonur, Kasachstan, Countdown für die Mission "Mars '96". Doch schon kurz nach dem Start: Alarm im Kontrollzentrum. Eine Antriebsstufe der Trägerrakete zündet nicht richtig. Statt zum roten Planeten zu fliegen, stürzt die Marssonde bei den Osterinseln ins Meer. Für die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler ein schwerer Schlag, vor allem für die Deutschen: Die Oberstufen der Ariane-Raketen werden in Bremen bei der Dasa montiert (Foto: Büscher)

"Ich weiß genau, wie sich unsere russischen Kollegen in diesem Augenblick gefühlt haben müssen", kommentiert Jürgen Levold, Chef der Produktsicherung bei der Daimler-Benz Aerospace in Bremen. Hier wird die Oberstufe der europäischen Ariane-Raketen gebaut. Für ihn gehört das Risiko eines Rückschlags zum Alltag: "Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie gibt es in der Raumfahrt eben nicht. Wir sprechen hier von einer Technologie, die sich stets am Rande des Machbaren bewegt." Aufgabe Levolds und seiner Kollegen ist es, das Restrisiko so gering wie möglich zu halten.

Neues Trägersystem

Welche weitreichenden Folgen schon der geringste Fehler haben kann, bekamen die erfolgsverwöhnten Europäer in diesem Sommer schmerzlich zu spüren. Nur knapp 40 Sekunden nach dem Start zu ihrem Jungfernflug war ihre neue Trägerrakete Ariane 5 explodiert. Ein Risiko, das bei seinem ersten Testflug einkalkuliert werden muß - zumal, wenn es, wie bei Ariane 5, um ein völlig neues Trägersystem geht. "Sie können eine Trägerrakete eben nicht, wie im Automobilbau, auf eine Holperstrecke schicken, von der Sie wissen, wenn ich da rüber gefahren bin, habe ich zwei Jahre Lebensdauer getestet! Bei uns zeigt sich erst im Erstflug, ob wir alles richtig gemacht haben."

Ob das Team um Qualitätsmanager Dr. Ulrich Hachmann wirklich alles bedacht hat, wird erst der zweite Testflug von Ariane 5 unter Beweis stellen. Ihre Bauteile waren in den wenigen Sekunden vor dem Unglück größtenteils noch gar nicht genutzt worden. So gesehen wird der nächste Start für die Bremer ein Erstflug sein.

Dennoch haben auch die Bremer - wie alle übrigen Ariane-Partner - ihr ohnehin strenges Qualitätsmanagement noch einmal verschärft. Für Jürgen Levold und seine Kollegen eine Selbstverständlichkeit: "Das sind wir unseren Kunden schuldig. Wir alle leben von dem Vertrauen, das sie Ariane 5 entgegenbringen."

Dabei haben die Europäer - was die Zuverlässigkeit ihrer Träger betrifft - schon jetzt allen Grund, stolz zu sein. Mit einer Erfolgsquote von 93 Prozent gilt Ariane 4 derzeit als sicherstes Trägersystem der Welt. Ariane 5 soll diesen Erfolg noch übertreffen. Mit ihr will das Ariane-Team eine Zuverlässigkeit von 98 Prozent erreichen. Entsprechend früh hat die Arbeit der Qualitätsmanager begonnen. Schon in der Planungsphase waren die mit von der Partie, haben mögliche Schwachstellen ausgelotet und spezielle Sicherheitsmaßnahmen entwickelt.

Auf Herz und Nieren

Halle 41 auf dem Gelände der Bremer Raumfahrtschmiede: Für Unbeteiligte bleibt diese Halle verschlossen. Zugang hat nur, wer die richtige Codekarte besitzt. In dem von außen unscheinbaren Gebäude wird parallel an mehreren Oberstufen gearbeitet. Jedes Bauteil, das hier montiert wird, wurde zuvor auf Herz und Nieren getestet. Kein Relais, das nicht unter dem Mikroskop nach korrodierten Kontaktstellen abgesucht worden wäre, kein Tank, der mittels Ultraschall auf Materialfehler getestet wurde.

Mit der Kontrolle von Hard- und Software allein ist es jedoch nicht getan. Qualitätssicherung, das bedeutet auch, die Fehlerquelle Mensch aufzuspüren und auszuschalten. "Routine ist unser größter Feind!" Ulrich Hachmann weiß, wovon er spricht: "Bei unseren Beobachtungen haben wir festgestellt, daß ein Monteur, der ein und denselben Arbeitsgang fünfmal hintereinander durchgeführt hat, eine gewisse Routine darin entwickelt, so daß er mit weniger Konzentration bei der Sache ist. Also lassen wir diesen Arbeitsprozeß beim sechsten Mal lieber von einem anderen Monteur erledigen."

Die Europäer sind zuversichtlich, daß Ariane 5 ihren nächsten Testflug im kommenden Jahr erfolgreich absolviert. Schließlich hat der Fehler, der beim Erststart aufgetreten war, das System als solches nicht in Frage gestellt. Ohnehin gibt es kein Zurück, will man sich im kommerziellen Trägergeschäft auch weiterhin ein großes Stück vom Kuchen sichern.

Noch ist Ariane 4 Marktführer in diesem Segment. Geld bringen vor allem die Doppelstarts, bei denen die Rakete gleich zwei Satelliten auf einmal ins All transportiert. Doch die Nutzlast legt immer mehr an Gewicht zu. Bei der Konzeption von Ariane 5 sind die schwergewichtigen Satelliten berücksichtigt worden. Bis zu sieben Tonnen kann sie in den Orbit befördern.

Um den Kunden vor dem ersten kommerziellen Start ein möglichst geringes Restrisiko zu garantieren, hat die Europäische Weltraumagentur (ESA) neben dem für 1997 geplanten Erprobungsflug noch einen zusätzlichen Testflug anberaumt. Erst beim vierten Start werden sich ausschließlich kommerzielle Satelliten an Bord befinden.

Horst Holsten, bei der Dasa verantwortlich für Ariane und zukünftige Trägersysteme, ist zuversichtlich, den Kunden auch künftig die gewohnte Zuverlässigkeit bieten zu können: "Allerdings brauchen wir dazu die dauerhafte Rückendeckung der Politik in Form eines Langzeitprogramms, wie es in Japan oder in den USA schon lange selbstverständlich ist. Das ewige Hin und Her zwischen den einzelnen Legislaturperioden ist Gift für eine kontinuierliche Arbeit!"

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© Nürnberger Nachrichten 1997