Studie über unterschiedliche Behandlungsstrategien in den USA und in Kanada sorgt für Aufregung bei den Kardiologen
Häufigere Bypass-Operationen
erhöhen nicht die Lebensdauer
Über die Ursachen läßt sich bisher nur rätseln – Warnung vor übereilten Schlüssen – Die Lebensqualität als ein wichtiger Aspekt

VON RAINER KAYSER

Eine vergleichende Studie der Behandlungsstrategien in den USA und Kanada sorgt für Aufregung unter Kardiologen: Obwohl bei Herzinfarkt-Patienten in den USA erheblich häufiger Bypass-Operationen und andere Eingriffe vorgenommen werden, findet sich kein signifikanter Unterschied in der Überlebensrate der Patienten.

Dünner Schlauch

Die Studie betrachtet 9400 kanadische und 224 000 US-amerikanische Patienten im Alter von über 65 Jahren, die 1991 ihren ersten Herzinfarkt erlitten. Während in den USA 34,9 Prozent einer Herzkatheter-Untersuchung unterzogen wurden – dabei wird durch einen dünnen Schlauch ein Röntgenkontrastmittel unmittelbar in die Herzkammer gespritzt –, waren es in Kanada lediglich 6,7 Prozent.

Noch krasser ist der Unterschied bei Ballon-Dilatationen und bei Bypass-Operationen. In den USA werden die Aderverschlüsse der Herzkranzgefäße bei jeweils rund elf Prozent der Patienten auf diese Weise behandelt – in Kanada nur bei jeweils 1,5 Prozent!

Trotz dieser gravierenden Differenzen verstarben in beiden Ländern innerhalb eines Jahres nach dem Infarkt 34 Prozent der in der Untersuchung erfaßten Personen. „Vermutlich werden die Ergebnisse unserer Studie eine Debatte über Kosten und Effektivität des aggressiveren Vorgehens in den USA auslösen“, schreiben die Autoren der Untersuchung im angesehenen Fachblatt New England Journal of Medicine.

Ihre Untersuchung unterscheidet sich von früheren Studien durch eine erheblich größere Patientenzahl und eine bessere Vergleichbarkeit der Personengruppen in den beiden Ländern.

In einem Kommentar in der gleichen Ausgabe der Fachzeitschrift weist der amerikanische Kardiologe Harian Krumholz darauf hin, daß die Patienten gleichwohl von den invasiven Behandlungsmethoden profitieren könnten: „Der Einfluß auf die Gesundheit läßt sich mit Sterblichkeitsraten allein nicht einfangen.“

Druck- und Engegefühl

Frühere Studien hätten belegt, so Krumholz, daß kanadische Infarktpatienten häufiger unter Symptomen wie Druck- und Engegefühl in der Brust („Angina pectoris“) litten und dadurch stärker in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind. Es komme eben, so Krumholz weiter, auch auf die Lebensqualität der Patienten an.

Die Autoren der Studie schließen zwar, „die Ergebnisse unserer Untersuchung scheinen die eher konservative Vorgehensweise in Kanada zu bevorzugen“, warnen aber ebenfalls vor übereilten Schlüssen.

Es wäre immerhin denkbar, so die Forscher, daß ein möglicherweise vorhandener Vorteil der aggressiven Behandlungsstrategie in den USA durch einen besseren Zugang älterer kanadischer Patienten zu Medikamenten und Nachsorgebehandlungen wieder ausgeglichen wird.

„Sehr interessant“

Auch der Kölner Herzspezialist Erland Erdmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft, hält die Studie zwar für „sehr interessant“, bemängelt jedoch, man hätte hier Patientengruppen aus „unterschiedlichen medizinischen Systemen“ verglichen. „Für die deutschen Kardiologen ergeben sich aus meiner Sicht gar keine Konsequenzen aus dieser Untersuchung“, schließt Erdmann.

In Deutschland werden – pro Einwohner gerechnet – 25 Prozent weniger Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt als in den USA, doch damit erzielen die deutschen Kardiologen immer noch die höchste Rate in Europa.

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