Das Internet soll Autos zukünftig intelligenter machen
Bildschirm als Wegweiser
Produktivität auch im Stau nutzen – Reparaturen per Computer

VON WOLFGANG BLUM

Im Mercedes auf die Datenautobahn: Das erste Auto mit eingebautem Internet-Anschluß steht mitten im Silicon Valley vor dem Forschungszentrum von Daimler-Benz in Palo Alto, Kalifornien. Das einzige, was auf den ersten Blick an der silbernen Limousine auffällt, sind drei kleine Flachbildschirme – einer im Armaturenbrett in der Mitte zwischen Fahrer und Beifahrer, zwei an der Rückseite der vorderen Kopfstützen für die Passagiere im Fond. An ihnen und mit drahtlosen Tastaturen können die Insassen im Web surfen. Der Fahrer soll künftig den Rechner auch über ein Spracherkennungssystem bedienen können.

„In Amerika leben die Leute viel mehr in ihren Autos als in Deutschland“, sagt Paul Mehring, der Leiter des Forschungszentrums. Man sehe etwa auf dem Weg zur Arbeit niemanden ohne Kaffeetasse hinter dem Lenkrad. Viele putzten sich dort auch die Zähne, frisierten oder rasierten sich. Warum also nicht das Büro ins Fahrzeug holen und die Zeit im Stau produktiv nutzen? Wenn der Verkehr fließt, können gestreßte Manager wenigstens noch auf der Rückbank gefahrlos elektronisch kommunizieren. Bei langen Fahrten in den Urlaub könnte dort der Nachwuchs mit Spielen gegen die Langeweile ankämpfen.

Günstigster Fahrtweg

Doch die Ingenieure und Programmierer denken nicht nur an hochgradig Internet-Süchtige, die im Auto nicht den Anschluß ans Netz verlieren wollen. Mit der Technik ließen sich zum Beispiel auch während der Fahrt Informationen über die Verkehrsdichte abrufen. Navigationssysteme könnten damit die gerade günstigsten Fahrtwege bestimmen. Heute erhältliche Geräte stützen sich hingegen meist nicht auf aktuelle Verkehrsdaten, sondern nur auf digitalisierte Landkarten, die im Bordcomputer gespeichert sind. Daher führen sie zuweilen direkt in den nächsten Stau. Sind eines Tages genügend Fahrzeuge mit der Technik ausgerüstet, könnten sie anonymisierte Daten über ihre Routen ins Netz stellen. Eine Hochrechnung ermöglichte dann bessere Stauprognosen und effizientere Verkehrslenkung.

Selbst anmelden

Nach den Vorstellungen der Forscher werden sich Autos künftig selbst über das Internet zur Inspektion anmelden. Die Mechaniker könnten so zudem bereits Meßwerte der Steuerungselektronik abrufen. Damit könnten sie Ersatzteile besorgen und Arbeitszeit einteilen, bevor der Wagen in die Werkstatt rollt. Über elektrisch betriebene Einstellschrauben ließen sich gar kleine Reparaturen erledigen. Mehring spricht von einer „mitfahrenden Service-Zentrale“.

Für das Flottenmanagement von Speditionen oder Leihwagenfirmen eignet sich „Internet mobil“ ebenfalls. Taxiunternehmen könnten etwa automatisch immer das nächste Auto zum Fahrgast schicken.

Im Notfall ließe sich über das Web Hilfe anfordern. In den USA bietet General Motors für diesen Zweck schon ein System namens Onstar an, das allerdings über ein privates Netz läuft. Die Daimler-Leute setzen hingegen bewußt auf das öffentliche Internet. Denn da gehe die Entwicklung derzeit viel schneller voran. Der silberne Mercedes E420 ist ein Forschungsfahrzeug. Von der Markteinführung sei man noch mindestens fünf Jahre entfernt, gesteht Mehring ein. Zunächst gelte es, alle Möglichkeiten auszuloten.

Und da ist seinen Leuten eine ganze Menge mehr oder weniger Sinniges eingefallen: Vom Öffnen des Fahrzeugs via Web, wenn der Schlüssel verloren ist, über das Anschalten von Klimaanlage und Heizung bis zum Aufstöbern des Teenagers, der trotz Ausgangssperre auf die Rolle gegangen ist.

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