Wissenschaftler weisen mit Nachdruck auf die Vorbeugung und der Früherkennung hin
Viele Krebserkrankungen lassen
sich vermeiden
Zahl der Fälle könnte um die Hälfte absinken – Heilungschancen bis zu 80 Prozent sind möglich

VON VALERIE GIRSTENBREY

Einer von drei Europäern erkrankt im Lauf seines Lebens an Krebs, jeder vierte stirbt daran. Brustkrebs nimmt in den meisten EU-Ländern noch zu, ebenso der schwarze Hautkrebs. Hodenkrebserkrankungen bei jungen Männern haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Auch die Krebsarten, an denen vor allem ältere Menschen erkranken, etwa Prostata- und Lungenkrebs, nehmen zu. Anläßlich der 9. Europäischen Krebskonferenz in Hamburg wiesen Wissenschaftler eindringlich auf die Bedeutung der Vorbeugung gegen Krebs sowie der Früherkennung hin.

Immer noch wissen viele Menschen nicht, daß sie aktiv gegen Krebs vorbeugen können. In Europa waren 35 Prozent, in Deutschland sogar über die Hälfte der Befragten überzeugt, daß Krebs nicht vermieden werden kann. Dies ergab eine europaweit geführte Umfrage.

„Wir gehen davon aus, daß etwa 70 Prozent aller Krebserkrankungen im Zusammenhang mit den individuellen Lebensverhältnissen stehen“, betonte Wilfried Kamphausen, Leiter der Initiative „Europa gegen den Krebs“. Ein Drittel aller Krebserkrankungen in den entwickelten Ländern steht in Zusammen mit Rauchen, Lungenkrebs bei Männern zu 80 bis 90 Prozent. Auch chronisch hoher Alkoholverbrauch erhöht vermutlich das Risiko, an Darm-, Speiseröhren-, Lungen- und Brustkrebs zu erkranken. Die Rolle der Ernährung ist zwar noch nicht geklärt, doch deutet auch die seit fünf Jahren laufende, europaweit größte Ernährungsstudie darauf hin, daß der Verzehr von frischem Obst und Gemüse, vor allem von Kohl, Broccoli und Karotten das Risiko, an Krebs zu erkranken, senkt. Ein hoher Anteil von tierischen Fetten in der Ernährung scheint dagegen das Krebsrisiko zu erhöhen.

Nord-Süd-Gefälle

Der Vergleich zwischen europäischen Krebsregistern ergibt ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in der Häufigkeit von Krebserkrankungen. In den nördlichen EU-Ländern ist die Häufigkeit von Brust-, Darm-, Haut- und Prostatakrebs deutlich höher als in den südlichen Mitgliederstaaten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Nicht nur die Ernährung, auch soziale Unterschiede spielen eine Rolle: Von Brustkrebs sind beispielsweise besonders häufig Frauen betroffen, die keine Kinder haben, die spät Kinder bekommen, die nicht gestillt haben oder die früh ihre erste Periode hatten.

„Wenn wir unser bisheriges Wissen in die Tat umsetzen“, erklärt Professor Peter Boyle vom Europäischen Krebsinstitut, „könnten wir mindestens die Hälfte aller Krebserkrankungen vermeiden.“ Die Initiative „Europa gegen den Krebs“ gibt im Europäischen Kodex zur Krebsbekämpfung zehn Empfehlungen. Wer sich vor Krebs schützen will, sollte nicht rauchen, nicht übermäßig Alkohol trinken, frisches Obst, Gemüse und Getreide zu sich nehmen, Übergewicht vermeiden und sich mehr bewegen, sowie Sonnenbrände verhindern.

Auch die Vorsorgeuntersuchung ist eine wichtige Waffe in der Krebsbe kämpfung. „Wird ein Tumor früh erkannt, liegt die Heilungschance bei 80 Prozent. Berücksichtigt man alle Stadien der Krebserkrankung, kann nur etwa jeder vierte Krebspatient geheilt werden“, erklärt Professor Rolf Kreienberg, Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik und Poliklinik Ulm. Zur Krebsvorsorge gegen Darmkrebs gehört in Deutschland ab 45 Jahren eine jährliche Untersuchung auf Blut im Stuhlgang (Haemoccult-Test). Die gynäkologische Vorsorge beginnt bereits ab 30: Sie sieht eine jährliche Untersuchung beim Frauenarzt vor.

Immer noch umstritten ist die röntgenologische Brustuntersuchung. Vor wenigen Wochen schloß sich zwar auch das amerikanische Krebsinstitut NCI der internationalen Empfehlung an, alle Frauen ab 40 Jahren alle zwei Jahre zu mammographieren. Die Experten sind sich darüber indes nicht einig. Einige raten Frauen ab 40 Jahren, das persönliche Brustkrebsrisiko mit ihrem Frauenarzt zu besprechen, sich aber erst ab 50 Jahren regelmäßig einer Röntgenaufnahme zu unterziehen.

Können und Erfahrung

Wichtig ist auch das Können und die Erfahrung des Chirurgen: „Wir haben gesehen“, so Professor Christian Herfath, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, „daß Chirurgie allein in spezialisierten Zentren das erreichen kann, wozu in anderen noch zusätzlich Strahlen-, Chemo- oder Hormonbehandlung nötig ist.“

Große Fortschritte in der Krebsbehandlung sind unter anderem den Tumorzentren zu verdanken. Die Dokumentation bei der Behandlung spezieller Risikogruppen ist die Voraussetzung für eine möglichst individuelle Therapie. Die Experten sprechen von „Krankheitsmanagement“. Um die wissenschaftlichen Standards den behandelnden Ärzten schnell zugänglich zu machen, beschreiten sie neue elektronische Wege. Das Münchner Tumorzentrum hat seine Empfehlungen zur Brustkrebsbehandlung im Internet verfügbar gemacht. Ein führender Arzneimittelhersteller, die Nürnberger Firma Novartis, stellt Ärzten das erste Online-Modul zum Brustkrebs-Management kostenlos zur Verfügung. Das Modul bietet alle aktuellen Informationen zur Brustkrebsbehandlung sowie die Möglichkeit, mit führenden Krebszentren in Deutschland, Europa und Amerika Kontakt aufzunehmen. Professor Hansjörg Sauer vom Münchner Klinikum Großhadern, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren: „Die Krebszentren leisten einen wichtigen Beitrag für die Verbreitung medizinischer Standards. Das Internet-Modul gibt hier eine gute Hilfestellung, denn es dient auch als Diskussionsforum.“

Doch aller Fortschritt kann sich nur durchsetzen, wenn Patienten an klinischen Studien teilnehmen. Die Krebsexperten appellieren an die Bevölkerung: Besorgniserregend sei die europaweit sinkende Bereitschaft von Patienten, an klinischen Studien teilzunehmen. Ohne solche Studien werde es keinen Fortschritt in der Krebsbehandlung geben.

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