Psychologen versuchen die seelischen Schäden zu lindern
Wie Kinder im Krieg leiden
Phasen der Traumatisierung – Hilfe von afrikanischen Heilern

VON DIETER SCHWAB

Wenn der Krieg vorbei ist, herrscht noch lange nicht Frieden. Zu tief hat er seine Spuren hinterlassen, im Land und in den Menschen. Und da ganz besonders in den Seelen der Schwächsten und Empfindsamsten, der Kinder.

Hans Keilson und Bola Efraime haben solche Leiden zu lindern versucht – mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen: Der Mediziner und Psychoanalytiker Keilson, heute 87 Jahre alt, hat als Jude in Holland im Untergrund überlebt und die seelischen Traumatisierungen, die Schäden in der Psyche, am eigenen Leib erlebt.

Der Diplom-Psychologe Efraime hat in der früheren DDR studiert und kehrte in seine Heimat Mosambik zurück, nachdem ein Bürgerkrieg 1992 beendet worden war. Beide berichteten jetzt auf einer Vortragsreise für Medico international über ihre Erfahrungen.

Aus den Verstecken

Als die überlebenden Opfer der Nazis 1945 im früher besetzten Holland aus ihren Verstecken auftauchten, „da hatten die Ärzte eine solche Beispiellosigkeit der zu behandelnden Fälle noch nicht erlebt“, resümiert heute Keilson, der manche seiner Patienten ein Vierteljahrhundert lang betreute. Das Leben wieder aufzunehmen sollten sie lernen, wenn auch vielleicht nur eingeschränkt.

Drei Zeitabschnitte unterscheidet Keilson, in denen die Angst tiefe Spuren in den Seelen hinterläßt: Es fing mit dem öffentlichen Druck an, als die Einführung des Judensterns und viele andere Repressalien das nahende Pogrom ankündigten. Als die Entscheidung zum Untertauchen gefallen war, bekamen zwischenmenschliche Beziehungen eine neue Qualität; die Sicherheit des Verstecks war der wichtigste Maßstab für das Interesse am Mitmenschen.

Und wer schließlich nach dem Einmarsch der Alliierten wieder auftauchte, hatte in dieser dritten Phase mit weiteren Problemen zu kämpfen: „Ihr Überleben war die nicht vorgesehene Ausnahme“, so Keilson, und falsche Behandlung konnte die insgesamt entstandenen Probleme weiter verstärken. Keilson spricht von „massiven, einander verstärkenden traumatisierenden Faktoren“.

Die Hilflosigkeit der Helfer hat auch Bola Efraime erfahren, nachdem er in Mosambik mit ehemaligen Kindersoldaten zu arbeiten begonnen hatte. Allein die Rebellenorganisation Renamo hat in den 16 Jahre langen Auseinandersetzungen mindestens 10 000 von ihnen verschleppt, sie manchmal mit neun Jahren gezwungen, ihre Eltern zu töten, und anschließend zum Morden, Rauben und Brandschatzen abgerichtet. „Opfer und Täter zugleich“ nennt Efraime diese Menschen, denen er jetzt eine Lebensperspektive verschaffen will.

Helden

Aber: Wer damals als erster schoß, war ein Held. Heute ist er ein Krimineller. Vertrauen zu Hilfsangeboten zu entwickeln, ist unter diesen Umständen schon eine große Leistung: „Die Klienten verstecken sich erst mal“, so Bola Efraimes Erfahrung.

Und wenn sie denn auftauchten, hatten der Afrikaner mit westlicher Ausbildung und seine Mitarbeiter manche Schwierigkeiten: Afrikanische Heiler fanden oft besser zu den Patienten. Ihre Rituale waren häufig „sehr effektiv“. Sie reinigten Soldaten mit Wasser und damit auch zugleich von ihren Untaten, sie packten alle Probleme in eine Flasche und warfen sie in einen Fluß, sie hielten die Mörder zur tätigen Sühne an: Monate oder Jahre gingen sie den Familien ihrer Opfer beim Ackerbau zur Hand.

Und die reine psychotherapeutische Lehre hilft in einem afrikanischen Entwicklungsland sowieso nicht weiter: Neben Gesprächsgruppen und ähnlichen klassischen Methoden der Psychotherapie hat Efraime deshalb auch Selbsthilfegruppen eingerichtet, in denen die früheren Kindersoldaten Landwirtschaft und Fischerei lernen.

Mit knurrendem Magen zurückbleiben

Dann können sie immerhin für ihre Ernährung sorgen. Denn es geht ja nicht an, so seine Erfahrung, daß die Therapeuten sich zum Mittagessen zurückziehen, während ihre Schützlinge mit knurrendem Magen zurückbleiben.

Mit 500 ehemaligen Kindersoldaten hat Bola Efraime bisher gearbeitet – viel für einen einzelnen, wenig nach so einem verheerenden Krieg. Aber Frieden schaffen ist noch viel mühseliger als die Waffen niederzulegen.

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