Impfungen gegen Kußkrankheiten? VON DIETER SCHWAB "Küssen verboten", singen die in die Jahre gekommenen Leipziger Sängerknaben "Die Prinzen", und rein biologisch betrachtet macht ihre ironische Forderung sogar Sinn. Denn über innigen Mund-zu-Mund-Kontakt wird so mancher krankmachende Erreger übertragen, und ganz problematisch wird es, wenn es sich dabei gar um das Vorspiel zu noch intimeren Formen menschlicher Begegnung handelt. Solche Kußkrankheiten löst das Epstein-Barr-Virus aus, das an manchen Universitäten ganze Hundertschaften von Studenten mit Pfeifferschem Drüsenfieber vorübergehend ausschaltet, weil sie sich dem anderen Geschlecht zu sehr genähert haben. Wenn es dumm läuft, handeln sie sich auch noch dank des Bakteriums Helicobacter pylori ein veritables Magengeschwür ein. Noch ernster sind die Leberentzündung Hepatitis B oder Aids, die allerdings durch Sexualkontakte übertragen werden. Weil allerdings solche Formen der Begegnung zum menschlichen Leben fast wie Essen und Trinken gehören, suchen Wissenschaftler der Universität Regensburg die Problematik sinnvollerweise anders als über Abstinenz zu lösen - über Impfungen nämlich. Das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene gehört zu den Arbeitsgruppen, die sich an die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Aids wagen, wie Professor Hans Wolf und Dr. Ralf Wagner kürzlich vor Journalisten berichteten. Solchen Versuchen, so gestand Ralf Wagner ein, war bislang "relativ wenig Erfolg" beschieden. Denn das Virus ändert seine Form rasend schnell; "es ist immer einen Schritt weiter als das Immunsystem, das es bekämpfen will", beklagt er die Schwierigkeit. Die Gabe von entschärften, lebenden Viren, die bei Affen ganz erfolgreich war, gilt beim Menschen als zu risikoreich. Die Regensburger Forschergruppe setzt deshalb auf gentechnisch hergestellte Viruspartikel, die mit dem ebenfalls im Labor nachgebauten Gerüst und anderen Teilen kombiniert werden. Durch dieses Konzept entwickelten Affen zwar Antikörper und Antigene; die Infektion wurde aber nicht verhindert, sondern nur gemildert. In den kommenden Jahren sollen Tests an Menschen in Uganda und China, die in enger Zusammenarbeit mit den dortigen Regierungen vorgenommen werden, weitere Klarheit bringen. Der Impfstoff muß dabei individuell auf die dort vorhandenen Typen des Aids-Erregers abgestimmt werden. Die Regionen sind deshalb besonders geeignet, weil sich das Leiden dort rasend schnell ausbreitet. Auf ähnlichem Weg haben die Regensburger Wissenschaftler bereits einen erfolgversprechenden Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus entwickelt, der in China mit ersten, vielversprechenden Ergebnissen getestet worden ist, so Professor Hans Wolf. Dabei geht es nicht nur darum, jungen Menschen das Pfeiffersche Drüsenfieber zu ersparen: Der Erreger gilt als Auslöser einer Reihe von Krebserkrankungen unter anderem des Magens und des Nasen-Rachen-Raumes. Im kommenden Frühjahr soll eine weitere, großangelegte Untersuchung zeigen, ob sich vielleicht zum ersten Mal Krebserkrankungen mit einer Reihe von Spritzen verhindern lassen - ein alter Menschheitstraum. Nicht psychosomatisch In eine ähnliche Richtung zielt die Entwicklung einer Schutzimpfung gegen Magen- und Darmgeschwüre: Denn die galten zwar dereinst als Musterbeispiel eines psychosomatischen Leidens, sind aber, so eines der aufregendsten medizinischen Ergebnisse der achtziger Jahre, durch ein schlichtes Bakterium verursacht. Damit lassen sie sich seither mit Antibiotika mit sensationell guten Ergebnissen heilen. Doch der Keim fördert zumindest auch eine Reihe verschiedener Krebsformen im Verdauungstrakt; ohne vorhergegangene Infektion würden ein Drittel der Magenkarzinome nicht entstehen, so Professor Norbert Lehn. Die Entwicklung einer Schluckimpfung gegen das Bakterium und seine Folgen ist mittlerweile so weit fortgeschritten, daß sie in einigen Jahren auf den Markt kommen dürfte. Damit zeigt sich ein Hoffnungsschimmer für all jene, die zwar nicht dem Küssen, wohl aber hinterlistigen Krankheitserregern aus dem Weg gehen wollen. Schließlich dräut bei solchen Annäherungen schon seelisches Liebesleid, das allein schlimm genug ist und vor dem bis auf weiteres keine Spritze schützen kann . . . |
© Nürnberger Nachrichten 1996 |