Warum Rennen
im Regen besser ist
Ernsthafte wissenschaftliche Forschungen über ein ziemlich skurriles
Thema -
Bei Schauern lohnt sich die Eile besonders

VON WOLFGANG BLUM

Was tun, wenn einen der Regen überrascht? Schnell zum nächsten Schutzdach laufen oder ohne unziemliche Hast gehen? Wer rennt, läuft regelrecht in die Regentropfen hinein. An Brust, Bauch und Oberschenkeln sammelt sich das Wasser.

Wer langsam geht, den treffen pro Zeiteinheit zwar weniger Tropfen. Dafür ist er aber länger dem Regen ausgesetzt. Die meisten Menschen entscheiden sich intuitiv und hasten so schnell wie möglich zum nächsten Unterstand. Aber bleiben sie dadurch wirklich trockener? Die Wissenschaft ist sich da mitnichten einig.

Grundlegende Arbeit

„Raindrops keep falling on my head“ betitelten vier Meteorologen der Universität Reading in der Fachzeitschrift Weather (vol. 50, S. 367–370) vor eineinhalb Jahren ihre grundlegende Arbeit. Der Einfachheit halber gingen die Engländer von einem quaderförmigen Spaziergänger aus.

Den Regen, der den eckigen Modelläufer trifft, unterteilten sie in zwei Portionen: Einerseits die Tropfen, die ihn von oben – auf Kopf und Schultern sozusagen – treffen, andererseits die, die durch seine Vorwärtsbewegung an der Frontseite aufklatschen. Die sind – gleichbleibender, senkrecht fallender Regen vorausgesetzt – unabhängig von der Geschwindigkeit, immer gleich viele.

Denn der Quader durchläuft auf seinem Weg ein bestimmtes Regenvolumen und nimmt, ob langsam oder schnell, alle darin enthaltenen Regentropfen auf. Der Wassereinfall auf der Oberseite hingegen ist um so größer, je länger der gedachte Pappkamerad sich im Regen aufhält.

Sie rechneten drauf los

Die englischen Meteorologen packten diese Überlegungen in Formeln, gestanden dem Quader eine Oberseite von 0,1 Quadratmetern und eine Vorderseite von 0,6 Quadratmetern zu und rechneten drauf los.

Das Ergebnis: Ob sich der Schachtelmensch zügig mit drei Metern pro Sekunde vorwärtsschiebt oder mit acht Metern pro Sekunde flitzt wie Mittelstrecken-Star Sebastian Coe, als er seinen Weltrekord über 800 Meter aufstellte, macht kaum einen Unterschied: Er bleibt um wenig mehr als zehn Prozent trockener. Sprinten lohne sich also nicht.

Mit ihren Kalkulationen bestätigten die Briten zehn Jahre alte Forschungen an der Universität im italienischen Udine. Doch sie widersprachen damit naßforsch dem menschlichen Instinkt.

Deswegen trauten Thomas Peterson und Trevor Wallis vom US National Climatic Data Center in Ashevill dem Fazit aus Reading nicht. Sie rechneten kürzlich nach und stießen prompt auf einen Fehler („Running in the rain“, Weather vol. 52, S. 93–96). Die Kollegen hatten beim Ausmultiplizieren offensichtlich einen Faktor ihrer Formel vergessen.

Außerdem, bemängeln Peterson und Wallis, sind drei Meter pro Sekunde – das sind fast elf Kilometer pro Stunde – kein normales Schrittempo. Sie setzen eine Gehgeschwindigkeit von 1,5 Metern pro Sekunde (knapp fünfeinhalb Kilometer pro Stunde) an.

23 Prozent trockener

Für das Rennen auf nassem, schlüpfrigem Untergrund in Straßenkleidung halten sie vier Meter pro Sekunde (14,4 Kilometer pro Stunde) für realistisch. Unter diesen Voraussetzungen bliebe der eilende Quadermensch um 23 Prozent trockener als der gehende. Ein Unterschied, der es sicherlich rechtfertigt, die Beine in die Hand zu nehmen.

Damit nicht genug, verfeinerten die Amerikaner das Modell: Große Regentropfen fallen schneller als kleine und legen somit die letzten zwei Meter rascher zurück. Deswegen werden sie weniger häufig an der Vorderseite aufgesammelt. Je heftiger ein Schauer ist, desto mehr fällt daher der Anteil ins Gewicht, der von oben auf Schulter und Kopf prasselt.

Und der läßt sich durch flotten Schritt verringern. Wenn es richtig schüttet, hält danach ein Spurt die Kleider mithin sogar um 28 Prozent trockener. Überdies: Wer rennt, lehnt sich nach vorne und sammelt deshalb an seiner Vorderseite weniger Tropfen auf. Die US-Meteorologen beziffern den Gewinn daraus auf 13 Prozent.

Seitenwind erhöhe den Nutzen eines spontanen Joggings um weitere drei Prozent. In starkem, schräg einfallendem Regen bringt Eile somit satte 44 Prozent weniger Nässe.

Graue Theorie

Doch grau wie Regenwolken ist alle Theorie. Peterson und Wallis, beide von ähnlicher Statur, steckten daher eine 100-Meter-Strecke hinter ihrem Institut ab, setzten identische Hüte auf und zogen gleiche Sweatshirts und Hosen an. Darunter trugen sie eine Schicht Plastik, damit kein Wasser nach innen dringen konnte.

In heftigem Regen mit Seitenwind, rannte Wallis die Strecke (vier Meter pro Sekunde), während Peterson sie abschritt (1,4 Meter pro Sekunde). Wallis'Klamotten nahmen 130 Gramm Wasser auf, Petersons mit 217 Gramm rund 40 Prozent mehr.

Ist damit das letzte Wort gesprochen? Sicherlich nicht. Denn was ist etwa bei Rückenwind? Für diesen Fall läßt uns die Wissenschaft bislang schlicht im Regen stehen.

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