Offensichtlich versprechen sich die großen Pharmaunternehmen von solchen Verfahren kein besonders profitables Geschäft
An neuen Verhütungsmitteln für den Mann wird noch gearbeitet
In drei bis fünf Jahren könnte die Spritze für den Mann produktionsreif sein – Positive Ergebnisse der Weltgesundheitsorganisation

VON WOLFGANG BLUM

Im Jahr 36 nach Markteinführung der Anti-Baby-Pille ist Vergleichbares für den Mann immer noch Fehlanzeige. In weltweiten Studien im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelang es zwar, die Fruchtbarkeit der Probanden mit hormonellen Injektionen auf nahezu null zu drücken. Doch: „Weitere Produktentwicklung ist dringend erforderlich“, wie führende Wissenschaftler kürzlich im „Weimarer Manifest zur männlichen Kontrazeption“ feststellten. Die internationale Gruppe unter Vorsitz von Eberhard Nieschlag von der Universität Münster fordert die Pharma-Industrie auf, die nun notwendigen großen klinischen Studien anzugehen. Dann könne es in drei bis fünf Jahren die „Spritze für den Mann“ geben, sagt Nieschlag.

Männer sind außerordentlich produktiv – zumindest was Samen angeht. Pro Sekunde bildet ein Hoden rund tausend Spermien. Damit gekoppelt schüttet er Testosteron aus. Das Männlichkeitshormon, das für Bartwuchs und Libido sorgt, ist Teil des Regelkreises zwischen Zwischenhirn und Hoden. Über den Blutkreislauf gelangt es in die Hirnanhangsdrüse und gibt so Feedback über die Samenproduktion, die von dort aus über andere Botenstoffe gesteuert wird.

Mit einer Testosteronspritze läßt sich der Körper täuschen. Sie signalisiert der Hirnanhangsdrüse einen ausreichenden Hormonspiegel, woraufhin diese die Produktion von Testosteron in den Hoden stoppt. Damit kommen auch Bildung und Reife der Spermien zum Erliegen.

Ejakulieren können die so gedopten Männer – unter Leistungssportlern ist Testosteron in deutlich höheren Dosen ein beliebtes, aber verbotenes Dopingmittel – indes immer noch. Menge und Aussehen des Spermas, das dann nur noch aus Sekreten der Bläschendrüse, der Prostata und der Nebenhoden besteht, ändern sich nicht spürbar.

In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation, die vergangenes Jahr veröffentlicht wurde, ließen sich 399 Männer aus sieben Ländern wöchentlich eine Testosteronspritze verpassen. Nach drei- bis fünfmonatiger Behandlung ging bei mehr als 98 Prozent von ihnen die Anzahl der Spermien im Ejakulat auf ein Minimum zurück. Während der zweijährigen Untersuchungs dauer wurden nur vier der Probanden Vater. Die Anti-Baby-Spritze für ihn erwies sich damit als ebenso sichere Verhütung wie die Pille für sie. Nach dem Absetzen der Injektionen dauerte es durchschnittlich 200 Tage bis sich wieder Zeugungsfähigkeit einstellte. Nebenwirkungen traten selten auf. Vereinzelt registrierten die Forscher Akne, Gewichtszunahme und erhöhte Aggressivität und Libido.

Aber: Wer will schon jede Woche zum Arzt rennen und sich in den Po stechen lassen? Als Tablette geschluckt wird Testosteron sofort in der Leber abgebaut. Abhilfe könnten Implantate unter der Haut bieten, die ihre Füllung langsam freigeben.

Da mit der Spermien- die Testosteronproduktion einschläft, muß auch hier das Männlichkeitshormon injiziert werden. In einer klinischen Studie, die Nieschlag kürzlich in Münster durchführte, sank die Samenzahl aller acht Probanden binnen einiger Tage auf null. Das Antihormon mußte aber täglich gespritzt werden.

Bislang zeigt sich die Pharma-Industrie bedeckt. Hierzulande bastelt nur Schering mit seiner Tochter Jenapharm an männlichen Kontrazeptiva. Offensichtlich versprechen sich die Herren Vorstände der anderen Unternehmen von der Pille oder Spritze für ihn kein Geschäft. Dabei belegen Umfragen, daß viele Männer ein solches Präparat durchaus nehmen würden. Mehr als vier Fünftel der Probanden der WHO-Studie ließen sich versuchsweise jede Woche pieksen, weil sie unzufrieden mit den bestehenden Verhütungsmethoden waren. Und Nieschlag berichtet, seine Testmänner hätten durch die Bank hinterher gesagt, „das würde ich wieder machen“.

Auch aus der Forschung an Kontrazeptiva für die Frau hat sich die Pharma-Industrie zurückgezogen. Die Manager fürchten Attacken von Produkthaftung und Lebensschützern.

„Die Medizin ist seit Adam und Eva mit der Frau beschäftigt“, sagt Nieschlag. „Über den Mann wissen wir viel weniger.“ Deshalb hinke die Entwicklung männlicher Kontrazeptiva meilenweit hinterher. „Und das wäre nicht unbedingt anders, wenn in den Vorständen lauter Frauen säßen.“

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