Beim Streit um die Ursachen geistiger
Fähigkeiten geht es auch um Ideologie und Geld Schwangerschaft bestimmt die Intelligenz Bei der Zwillingsforschung wird der mütterliche Aspekt häufig übersehen Demokratische Gene VON KLAUS WILHELM Zwillingsstudien sind ein Medienspektakel erst recht, wenn sie der Erkundung der menschlichen Intelligenz dienen sollen. Denn ihre scheinbare Logik leuchtet jedem ein: Um den Einfluß von Genen und Umwelt auf die geistige Leistung des Menschen zu messen, fahndete man nach eineiigen, also genetisch identischen Zwillingen, die in unterschiedlichen Familien aufgewachsen sind. Dann wird der Intelligenz-Quotient gemessen. Alles, was die natürlichen Klone unterscheidet, ist Ergebnis der Umwelt, was sie verbindet, Resultat des Erbes. Vordergründig simpel Doch hinter dem vordergründig simplen Procedere stecken aufwendige und höchst unterschiedliche Modellrechnungen, aus denen Psychologen und Verhaltensgenetiker ihre Schlüsse ziehen. Tenor: Wenn einer dümmer ist als der andere, hat er das zu 50, 60 oder 70 Prozent seinen Erbanlagen zu verdanken. Harte Arbeit nutzt also noch lange nichts, sofern man in der genetischen Lotterie nicht das Glückslos gezogen hat. Allerdings: Die Vererblichkeit der geistigen Kapazität bleibt umstritten. Einer neuen Studie des US-Forschers Bernie Devlin von der Universität von Pittsburgh zufolge haben die Zwillingsstudien den Einfluß der Gene überschätzt. Basierend auf Daten von 212 IQ-Studien seit 1927 proklamieren Devlin und seine Kollegen, daß die vorgeburtliche Umgebung zu 20 Prozent die Entwicklung der Intelligenz bestimme. Demnach gesellt sich zu den zwei Faktoren Erbe und Umwelt ein dritter: der Mutterleib. Daß die Umwelt des Ungeborenen die Entwicklung des Embryos samt seines Gehirns mitprägt, gehört fast zu den Alltagsweisheiten. Schwangere sollen nicht rauchen und keinen Alkohol trinken, sie sollen gesund essen und Streß vermeiden. Um so mehr erstaunt, daß der vorgeburtliche matornale Effekt die menschliche Intelligenz a priori eine Leistung eines Gehirns nur marginal mitbestimmen soll. Das jedenfalls propagieren die Verfasser all jener Studien, die mehr den Genen als den Umwelteinflüssen eine prägende Rolle auf den IQ zubilligen. Meist haben sie den maternalen Effekt schlichtweg ignoriert obwohl es die einzige Umgebung ist, die nach der Geburt getrennte Zwillinge gemeinsam erlebt haben. Dabei geht es, vor allem in den USA, um mehr als nur Wissenschaft. Es geht um Politik und Wirtschaft, um Erziehung und Wohlfahrtsprogramme, um Armut und Reichtum. Und die Diskussion tobt heftiger denn je, seit 1994 der Politologe Charles Murray und der mittlerweile verstorbene Harvard-Psychologe Richard Herrnstein in ihrem Beststeller The Bell Curve forderten, Sozialhilfe für ledige Mütter einzustellen. Außerdem empfehlen ihre Anhänger, Amerikas Gen-Pool vom Erbmaterial der Schwarzen, Armen und Kriminellen zu säubern. Denn der Durchschnitts-IQ der Schwarzen liege 15 Punkte unter dem der Weißen weithin genetisch bedingt, wie Zwillingstudien belegten. Da Farbige und sozial Schwächere mehr Kinder in die Welt setzten als intelligente Menschen, werde der durchschnittliche IQ der Amerikaner abnehmen, malten Murray und Herrnstein schwarz stellvertretend für Rechte und Rassisten in den USA. Am Ende stehe eine Masse der geistig Verarmten, regiert von einer kognitiven Elite. Dem moralischen Widerspruch aller Liberalen folgt nun der wissenschaftliche Konter. Devlins Studie ist Teil eines gerade in den USA erschienenen Buches, betitelt Intelligenz, Gene und Erfolg: Wissenschaftler antworten auf The Bell Curve. Komplexes Verhalten Populationsgenetisch gesehen wollten Murray und Bernstein einen sogenannten dysgenischen Effekt entdeckt haben. Das heißt, daß sich die Gene für bestimmte komplexe Verhaltensweisen in weiten Teilen einer Bevölkerung von Generation zu Generation regelrecht festsetzen. Doch bei einer Vererblichkeit von weit weniger als 50 Prozent, wie sie Devlins Untersuchung nahelegt, könne nach den Gesetzen der Genetik davon kaum die Rede sein, erklärte McGue. Dann nämlich verhielten sich Gene demokratisch. Resultat: In der dritten oder vierten Generation seien die Nachfahren genialer Menschen kaum begabter als die Sprößlinge durchschnittlich Intelligenter. |
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