Museumsdorf im Bambuswald
Chiang Mai, das Tor zu Thailands Norden
Von Christiane Klatte

Warten auf Kundschaft: Dschungeltouren auf den geduldigen Dickhäutern gehören zum beliebten Touristenvergnügen in Chiang Mai. Foto: Christiane Klatte

Mit seiner zweitausend Kilometer langen Küste, seinen Inseln, prächtigen Tempeln und alten Königsstädten gehört Thailand zu den Traumzielen in Asien. Die meisten Urlauber fliegen via Bangkok ans Meer. Aber auch der Norden des alten Siam hat seine Reize - nicht nur für Abenteurer oder Opiumschmuggler. Touristische Drehscheibe ist Chiang Mai, die zweitgrößte Metropole Thailands.

Kleine Wünsche haben gute Chancen, bald erfüllt zu werden. Bei größeren muß man warten können und erst einmal Pluspunkte mit guten Taten sammeln. Und so hat sich inzwischen in einer Ecke der Tempelanlage Wat Prathat Doi Suthep eine stattliche Anzahl von Schindeln angesammelt. Die frommen buddhistischen Bittsteller notieren auf den Täfelchen immer wieder den gleichen Wunsch: Sie hoffen auf ein eigenes Haus - im nächsten Leben.

In Chiang Mais berühmtestem Tempel wenige Kilometer außerhalb der Stadt, an dem 1100 Meter hohen Berg Doi Suthep, herrscht jeden Tag heiter-beschauliche Festtagsstimmung. Der Legende nach hat ein weißer Elefant diesen Platz im 14. Jahrhundert für eine Reliquie Buddhas ausgesucht. Die Gläubigen kommen entweder zu Fuß über die 290 Stufen, die von zwei riesigen geschnitzten grünen Schlangen gesäumt werden, hinauf zum Gebet oder bequemer per Seilbahn. Die meisten spenden Räucherstäbchen und Lotosblüten. Die Opferstäbchen - gewöhnlich sind es drei - werden Buddha, der Lehre und dem klösterlichen Leben gewidmet. Von Zeit zu Zeit unterbricht ein dumpfer Ton die friedliche Stille. Wer die Gebetsglocke anschlägt, soll das Glück auf seiner Seite haben.

Geliebt und verehrt

Aberglaube und Rituale bestimmen das Leben der Thais, das geprägt ist vom Buddhismus und vom Königshaus. "Thailand ohne köngliche Familie ist für uns unvorstellbar", sagt dann auch Reiseführer Goko, dem man anhört, daß er eine Weile in Mannheim gelebt hat. Die Beleidigung des Königs, selbst wenn man nur versehentlich auf ein Geldstück mit dem Porträt König Bhumibols tritt, gehört zum Schlimmsten, was sich ein Farang, eine fremde Langnase, im Land des Lächelns leisten kann.

Die absolute Monarchie wurde zwar 1932 abgeschafft, Thailand ist heute eine parlamentarische Demokratie. Aber der König, dessen 50jähriges Thronjubiläum in diesem Sommer mit großem Pomp und noch mehr Verehrung im ganzen Land gefeiert wurde, hat mit seinem Engagement für die Ärmsten im Land die Liebe und den Respekt eines ganzen Volkes gewonnen.

Als junger Student lebte Bhumibol eine Zeitlang in Chiang Mai. Damals war die "Rose des Nordens", wie die zweitgrößte Stadt Thailands liebevoll genannt wird, noch längst nicht so weit aufgeblüht. Fortschritt und wirtschaftlicher Aufschwung forderten inzwischen ihren Preis. Beton- und Glaspaläste verdrängten vielerorts die traditionellen Teakhäuser. Großstadtlärm und Verkehrsstaus sind so alltäglich wie der Nachtmarkt mit seinen unzähligen Ständen mit Ramsch und Kunsthandwerk, mit falschen Rollex-Uhren und einem Hofbräuhaus, vor dem ein thailändisches Dirndl mit Tirolerhut und Bierkrug bis tief in die Nacht zur Brotzeit animiert.

Da führt eine Wat-Wanderung - eine Wanderung von Kloster zu Kloster - schon eher zu den verschwiegenen Orten Chiang Mais, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. 72 Tempel hat die 700 Jahre alte Stadt zu bieten, kunstvolle Bauten mit filigranen Holzschnitzereien oder Stuckornamenten, oft blau und gold bemalt. Manchmal sitzen Frauen mit flachen Körben im Schatten exotischer Bäume. Mit sicherem Gespür für mitleidige Seelen winken sie Besucher zu sich heran und animieren sie zu einer guten Tat für ein glücklicheres Leben. In den Körben flattern aufgeregt kleine Vögel und warten für den Preis von ein paar Baht auf die große Freiheit. Wer kann da schon widerstehen? Kenner der Szene warnen allerdings vor zu großer Tierliebe. Die gefiederten Sänger sind nämlich so zahm, daß sie sich bereitwillig wieder für die nächste "gute Tat" einfangen lassen, wenn die Besucher außer Sichtweite sind.

Auf dem Markt von Lamphun, knapp 30 Kilometer von Chiang Mai entfernt, bieten Marktfrauen schon früh am Morgen alle exotischen Früchte an, die das Land zu bieten hat. Nicht jede Delikatesse, die etwas weiter an den Fisch- und Fleisch-Ständen in großen Pfannen bruzzelt, gehört aber unbedingt zu den europäischen Gaumenfreuden. "Du darfst die Flügel nicht mitessen, die sind zu zäh", warnt Reiseführer Goko eine Touristin, die mutig in eine Tüte mit gebratenen Insekten greift.

Im Dorf Bo Sang bricht der große Kaufrausch aus. Schirme aus kunstvoll bemaltem Maulbeer-Papier werden eingekauft, als stünde die nächste Sintflut kurz bevor. Die eine oder andere Touristin läßt sich noch schnell einen Drachen auf die Bluse malen oder einen bunten Schmetterling als vergängliches Souvenir auf den Oberarm tupfen, dann fährt der Bus weiter zum nächsten Handwerker-Dorf. Hier harren Seidenstoffe, Lackarbeiten und Glücksbuddhas aus Jade und anderen Materialien auf Käufer. Thais sind eben nicht nur fromm und freundlich, sie verstehen auch viel vom Geschäft.

Straße der Realitäten

Alles hat seinen Preis. Auch bei den Bergstämmen. Die Kamera darf erst klicken, wenn ein Schein oder eine Handarbeit den Besitzer gewechselt hat. Die Existenznöte der Bergstämme, die von Tibet und China über Burma und Laos ins Land gekommen sind, liegen König Bhumibol besonders am Herzen. Mohnanbau für die Opium- und Heroingewinnung und Brandrodung sind seit 20 Jahren offiziell verboten. Mit der Kultivierung von Obst und Gemüse, Kaffee und Reis, mit Schulen und Straßenbau versucht seine Majestät die Stämme zu integrieren und vom Traumpfad der Mohnblüten auf die Straße der Realitäten zu leiten. Die Hütten und die farbenfrohen Trachten der Karen, Lisu, Akha oder Lahu gehören längst zu Vorzeigeprogrammen für die Touristen - fernöstliche Museumsdörfer im Bambuswald. Ein schwieriger Balance-Akt. Hier ist Toleranz und Sensibilität gefragt. Nicht nur Zyniker sprechen bereits heute von Menschenzoos.

Bei den Langhals-Frauen

Besuch in einem Dorf der Karen bei den Langhals-Frauen. Die Ankunft des Busses hat sich schnell herumgesprochen. Während die Männer in der Mittagsglut im Schatten der grobgezimmerten Holzveranden weiter vor sich hindösen, sitzen die Frauen fast unbeweglich, aber fotogen mit einem mehrere Kilogramm schweren Messingschmuck um den Hals hinter ihren verkäuflichen Schätzen: handgearbeiteten kleinen Taschen, gewebten Decken, Armreifen, kleinen Püppchen. Nur Mädchen aus dem kleinen Padaung-Stamm, die an einem Mittwoch bei Vollmond geboren werden, gehören zu den Auserwählten. Mit fünf Jahren werden ihnen die ersten Ringe um den Hals gelegt und im Laufe der Jahre immer wieder ergänzt. Eine erwachsene Langhals-Frau würde sich das Genick brechen, nähme man ihr die Last des schweren Schmucks.

Thailands einst berühmt-berüchtig- ter Norden am Goldenen Dreieck, wo Burma, Laos und Thailand an der Mündung des Sai-Flusses in den Mekong aneinanderstoßen, präsentiert sich wie eine Filmkulisse aus vergangenen Tagen. Vorbei die Zeiten der Opiumkarawanen und der Bandenkriege. Die Opiumproduktion ist auf Druck der Regierung drastisch - man schätzt um 90 Prozent - zurückgegangen. An den beiden Fotografiertoren mit der Aufschrift "Golden Triangle" unten am Mekong und oben auf dem Plateau mit Ausblick auf das Dreiländer-Eck kann kaum ein Tourist widerstehen. Ein Erinnerungsschnappschuß muß schon sein. (Wissenswertes über Thailand).

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© Nürnberger Nachrichten 1996