Deutschland will kein
Langeweileland mehr sein

Von Alexandra Borchardt, dpa

Frankfurt/Main - Morgens Sightseeing, mittags Shopping, nachmittags Jogging, abends Musicalbesuch und anschließend Essen im renommierten Restaurant - so stellt sich die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) den idealtypischen Deutschlandbesucher vor. Mit einem ganzen Paket an „Event- und Erlebnisreisen“ wollen die Werber jene Reisenden aus dem Ausland anlocken, denen der französische Strand zu langweilig, der römische Petersplatz zu vertraut und die Schweizer Alpen zu teuer geworden sind. Ein bißchen frostig, ein bißchen öde und vor allem unbezahlbar - diesem landläufigen Image Deutschlands als Reiseland hat die DZT den Kampf angesagt.

Die Tourismuswirtschaft hat dies bitter nötig. Zwar rangierte Deutschland Studien zufolge 1996 auf der Hitliste der Reiseländer immerhin europaweit auf dem sechsten und weltweit auf dem 13. Platz. Die Deutschen als anerkannte Reiseweltmeister tragen aber wesentlich mehr Geld aus ihrer Heimat heraus, als von auswärtigen Touristen hereingebracht wird. So gaben deutsche Urlauber im Ausland 1996 rund 69 Milliarden Mark aus, im Gegenzug nahm Deutschland im Tourismus aber nur 18,3 Milliarden Mark ein, wie die Deutsche Lufthansa kürzlich vorrechnete.

Die DZT rührt deshalb in 27 Märkten in Europa und Übersee die Werbetrommel. Zusätzlich wirbt sie über das Internet und sogar mit einem Werbespot im Musik-TV-Kanal MTV. Sonnenschein kann sie dabei nicht ins Garantiepaket werfen. Dafür sind die deutschen Städte ein Kapital, mit dem DZT-Chefin Ursula Schörcher wuchern möchte. Rund die Hälfte aller auswärtigen Deutschland-Urlauber verbringt die freien Tage in Großstädten, immer beliebter dabei sind die neuen Länder. „Dresden und Leipzig haben zweistellige Zuwachsraten“, schwärmt Schörcher. Dabei setzen die Werber nicht nur auf Museen und Musicals. „Deutschland hat zum Beispiel die beste Techno-Szene in ganz Europa.“

Die Glanzseiten Deutschlands zu vermarkten, lassen sich der Bund und einige Unternehmen - vor allem Deutsche Bahn und Lufthansa - einiges kosten. Mit 39 Millionen Mark ist Bonn in diesem Jahr zu 65 Prozent an der Finanzierung der DZT beteiligt.

Mit Zukunftsprognosen ist Schörcher vorsichtig. Im vergangenen Jahr zählte die DZT bei leichtem Wachstum rund 32 Millionen Übernachtungen auswärtiger Besucher, etwa 70 Prozent waren Europäer, der Rest kam aus Übersee. Angesichts der europaweiten Konsumflaute erwartet die DZT-Chefin aber keine großen Sprünge: „Die Entwicklung wird sehr schwer zu halten sein.“ Ein kleiner Trost ist der Anstieg des US-Dollars. Denn die Amerikaner sind nach den Niederländern die zweitstärkste Besuchergruppe - und vor allem bringen sie die dicksten Brieftaschen mit.

Werbeslogans allein halten allerdings nach Schörchers Erfahrung keinen Reisenden auf dem Sightseeing-Pfad. „Wichtig sind konkrete Angebote.“ In der Flut der Informationen ließen sich potentielle Urlauber mit einem gut bestückten Programm eher angeln als mit ein paar schönen Bildern. „Erlebnisse werden immer wichtiger. Das ist die ganz große Chance für Deutschland.“

Bei der DZT lautet das Zauberwort deshalb „Themenjahr“. So hat das „Lutherjahr 1996“ Schörcher zufolge rund eine halbe Million zusätzliche Übernachtungen gebracht. In diesem Jahr heißt es „Deutsche Städte erleben“. 1998 sollen die Touristen „auf Spuren der Ritter und Fürsten“ wandeln und durch Deutschlands Gourmet-Tempel ziehen, und 1999 wird Goethes 250. Geburtstag ganz groß gefeiert. Als Erfolg erweise sich eine Werbeaktion unter den zehn Millionen ehemaligen US-Streitkräften zu Reisen an ihre früheren Einsatzorte. In den ersten vier Monaten seien bereits „Nostalgic Journeys“ für 850 000 US-Dollar verkauft worden.

Vor Ort ist für solche Programme allerdings noch viel Überzeugungsarbeit angesagt. Anstelle von Alleingängen sollten sich kleinere Orte zu touristischen Regionen zusammenschließen und „Erlebnis-Angebote“ schaffen - so in Sport oder Gesundheitspflege, meint Schörcher. Gebraucht würden auch mehr familienfreundliche Angebote. Die Hotels müßten außerdem an ihrer Preispolitik arbeiten. Und das allerwichtigste: „Kleine Hotels können langfristig nicht erfolgreich sein, ohne im Reisebüro buchbar zu sein.“ Dazu sind viele Hoteliers in Deutschland bislang zu knauserig.

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