Hinter
den
Wellen liegt
die Zukunft
Kreuzfahrt von China nach
Japan
Von Evelyn Scherfenberg
Die Show beginnt mit der Dämmerung,
gleich nachdem wir unser am Hafen liegendes
Kreuzfahrtschiff betreten haben und mit gezückten
Kameras an Deck gespurtet sind. Theatralisch zieht sich
die Sonne hinter dem jadegrünen Peak von Hongkong
zurück und nimmt die auf dem Wasser liegenden langen
Schatten der Wolkenkratzer auch gleich mit.
Jetzt tritt, gewaltiger als erwartet, das
beliebteste örtliche Fotomotiv, die mit Abertausenden
Lichtpünktchen und Leuchtbändern dekorierte nächtliche
Skyline der Stadt, an die Ufer und spiegelt sich auch
noch, Gipfel der Eitelkeit, gülden im Meer.
Über die gigantische
Energieverschwendung schimpfen wir später. Vorerst
scheint vor unseren geblendeten Augen der Werbefilm
So toll strahlt Hongkong abzulaufen, von dem
wir uns gern in den Bann ziehen lassen.
Eben noch waren die himmelstürmenden
Bauklötze der Halbinsel Kowloon zum Greifen nahe, eben
noch ankerte neben uns die legendäre Star Ferry, da
entrückt uns schon die Szenerie. Unser Schiff, die
Calypso, dampft so entschlossen aus der Hafenbucht, als
wolle es sich aus der Umzingelung der Beton-Giganten
lösen. Die kapitalen Türme schrumpfen, die Lichter
blinzeln trübe.
Bald versinkt das neonflitternde
Atlantis vollends am Rand der tintenschwarzen See. Doch
bevor es nun gar nichts mehr zu bewundern gibt, setzt die
Regie neue Glitzereffekte. Diesmal läßt sie's rundum
unmäßig funkeln. Nie, nie zuvor habe ich einen
derart tollen Sternenhimmel gesehen, schwärmt eine
an der Reling lehnende Frau.
Einen Drink später sind wir schon
hundert Seemeilen weit draußen auf dem Südchinesischen
Meer. Die Sail-away-Party ist gefeiert, die zur
Begrüßung gereichten Sektkelche sind geleert, man
fühlt sich an Bord des eleganten Schiffs komfortabel
aufgeräumt und erörtert die erfreuliche Lage: Na, war
das nicht ein Traumstart? Bestimmt wird's auch eine
Traumreise. Waren Sie schon mal in Fernost?
Am ersten Tag des Reiseprogramms haben
wir, von Frankfurt eingeflogen, das rastlose Hongkong mit
seinen quirligen Märkten und menschenvollen,
rauchgeschwängerten Tempeln erkundet. Nun wollen wir
für zwölf Tage verwöhnte Kreuzfahrer sein und uns von
unserer schwimmenden Urlaubsinsel sanft zu den
Philippinen, nach Taiwan und Japan tragen lassen. Soweit
die Pläne.
Doch irgend etwas daran stört den hier
ansässigen Meeresgott Hung Kong. Er muckt auf. Und
peitscht die Wellen zu schäumenden Monstern. Die wachsen
gräßliche sechs Meter hoch, ja sieben laut
Meldung von der Brücke. Altgediente Kreuzfahrer
spötteln über das bißchen rough sea.
Sie spazieren, während die Calypso
wacker über die Wellenhürden galoppiert, im Zickzack
freihändig über die schwankenden Dielen. Nur gut, daß
das mitfühlende Personal auch unter den Neulingen die
Kunde verbreitet, so eine kleine Brise sei für ein
tüchtiges Kreuzfahrtschiff wie die Calypso nun wirklich
ein Klacks.
Weniger aufwühlend ist die Erfahrung,
daß keiner, schon gar nicht der Bayer an Bord,
abendländische Bräuche missen muß. Selbst auf
asiatischen Gewässern kommt beim Calypso-Frühschoppen
mit Musik, Weißwürsten und Bier zünftige
Schunkelstimmung auf.
Die Küche ist klassisch international,
sechsmal wird inklusive Frühstück und Mitternachtssnack
zu Tisch gerufen. Abends, nach dem leckeren
Fünf-Gänge-Menü, genießt man ein flottes
Showprogramm, bummelt zwecks Shopping durch die
Schiffsarkaden oder plaudert an einer der drei Bars.
Da gibt es nach dem ersten Landgang auf
den Philippinen nur einen Gesprächsstoff: Was für
wahnsinnig nette Leute hier doch leben! Gewiß, das Ziel,
die im Norden des Landes auf sieben Hügeln gelegene
Küstenstadt San Fernando ist keine aufregende
Weltsensation. Immerhin haben wir den reizenden
Ma-Cho-Tempel und einen kleinen weißen Palast, Sitz der
Provinzregierung, gesehen. Wir badeten im lauen Meer.
Das Beste aber: Weil hier ausnahmsweise
mal ein großes Schiff anlegte, ging keiner zur Arbeit,
die Schüler hatten sogar schulfrei, und alle, alle kamen
zum Hafen. War das ein Fest! Die Lebenslust ist förmlich
explodiert. Uns zu Ehren haben die Bürger, völlig
überraschend, ein riesiges Schlemmerbüfett an der Pier
aufgebaut. Gleich mehrere Bands sind aufmarschiert. Die
Leute haben gemeinsam mit uns Calypso-Passagieren
gesungen und geswingt, als wären wir alle längst alte
Bekannte.
Dem folgen, während das Meer sich
allmählich austobt, drei geruhsame Seetage, neue
Ausflüge, neue Eindrücke: Tempel, Tropenberge, Märkte,
aber vor allem hypermoderne Städte. In allen Häfen
begrüßen uns musizierende Folkloregruppen. Zwei
Autostunden von Manila erleben wir ein asienweit
bekanntes Touristen-Spektakel in der von einem Fluß in
den Tropenwald gegrabenen Pagsanjan-Schlucht.
Wir werden dort, klatschnaß in
Mini-Kanus hockend, von artistisch agierenden Paddlern
über Stromschnellen stromaufwärts zu einem kleinen See
mit Wasserfall geschoben und gewuchtet. Der Rückweg ist
famos. Da fliegt das schmale Kanu haarscharf an Steinen
und Felsen vorbei zwischen den Steilklippen des
Dschungels flußabwärts.
In Kaohsiung, dem wichtigsten Südhafen
Taiwans, betrachten wir den silbern am Stadtrand
liegenden Lotus-See und seine Parklandschaft. Das viele
Hektar große Naherholungsgebiet mit Pagoden, Pavillons
und Glockentürmen wirkt so künstlich wie es ist.
Schrillbunt und nagelneu sind all die großen Drachen-
und Tigerskulpturen, ein kleines Disneyland auf
chinesisch.
Selbst ein stolzer roter
Konfuzius-Tempel, historizierend gebaut, hat nur ein paar
Jahre auf dem Drachenbuckel. Begeisternde Eindrücke
gewinnen wir in Taipeh, der 3-Millionen-Metropole des
geschäftigen Tigerstaats. Das dortige Nationalmuseum
hütet Tausende der kostbarsten Schätze chinesischer
Kultur, so Kalligraphien, Porzellan und
Elfenbeinschnitzereien. Tage möchte man hier bleiben und
kann doch, Schicksal der Kreuzfahrer an allen Gestaden,
auch den feinsten Orten nur auf Stunden begrenzte
Stippvisiten abstatten.
Nun liegen zwischen Taiwan und Japan
noch anderthalb Tage Seereise. Die Luft ist wohlig warm,
der Wind hat sich gelegt, backbord hüpfen die Delphine
durchs glatte Meer. Schade, daß der Traum bald vorbei
ist. Aber gemach: Noch bleiben uns ja vier Tage im Land
des Lächelns. Im Morgengrauen passieren wir die ersten
Inseln im japanischen Süden; lyrische, zart getuschte
Landschaftsbilder schweben vorbei, dann aber tauchen aus
dem Dunst die ersten superkühnen, ewig langen,
inselverbindenden Brücken auf.
Erstes Ziel: Kagoshima und der
Kirishima-Nationalpark, eine archaische, beängstigend
vitale Vulkanregion, in der es überall dampft und
brodelt. Als wir dann in Osaka anlegen, einer von
schnurgeraden Autobahnen durchzogenen High-Tech-Stadt der
Superlative, wissen wir endgültig, daß sich dieses Land
als Versuchsstation fürs dritte Jahrtausend betrachtet.
Von hier aus führt der Weg nach
Hiroshima und seinen an den Atombombenabwurf am 6. August
1945 mahnenden Gedenkstätten. Uns scheint, als würde
das Museum, das die Katastrophe für unser Empfinden zu
distanziert dokumentiert, der apokalyptischen Tragödie
nicht gerecht. Unsere Führerin erklärt das mit dem
typisch japanische Bemühen, nur keine Gefühle zu
verletzen.
In der alten Kaiserstadt Kyoto, dem
japanischen Rothenburg, wimmelt es von einheimischen
Touristen. Kein Wunder auch, die großartigen, mehrere
hunderte Jahre alten zauberhaften Schreine, Paläste und
Tempel suchen ihresgleichen. Daß Japan sonst nur wenig
historische Bausubstanz besitzt, liegt nicht zuletzt am
traditionellen, empfindlichen Baumaterial Holz. Viele
Erdbeben und die asiatische Begeisterung fürs Neue taten
ein übriges. Nur religiöse oder feudale Einrichtungen
wie in Kyoto hatten langfristig eine Überlebenschance.
Und so ist es nur logisch, daß das
chaotische Zukunftsmodell der Urbanität, Tokio, den
Schlußpunkt der Reise durch eine Region setzt, in der
uns, die Philippinen ausgenommen, überall machtvoller
Aufbauwille begegnete. Der Eindruck kühner Moderne hat
am Ende alles andere verdrängt: die pittoresken
Konfuzius-Tempel, die Buddhas und Shinto-Schreine samt
den allenthalben sichtbaren Symptomen eines
anachronistischen Aberglaubens. Als wir heim nach
Deutschland fliegen, kehren wir aus der Zukunft in die
Vergangenheit zurück.
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