Kunst-Parcours
durch das Tessin
Auf den Spuren Hermann Hesses
Boteros voluminöse Bronzen
Bilder-Schau in der Villa Favorita
Von Michael Becker
Nie aber habe ich so schön gewohnt wie im
Tessin, und noch keinem meiner Wohnorte bin ich so viele
Jahre treu geblieben wie meinem jetzigen . . .,
und ich werde ihn nicht mehr verlassen. Die Tessiner
Landschaft . . . hat mich stets wie
eine vorbestimmte Heimat oder doch wie ein ersehntes Asyl
angezogen und empfangen. Hermann Hesse schrieb
diesen Dank ans Tessin 1954. Acht Jahre
später ist der Schriftsteller und
Literaturnobelpreisträger in der von ihm so sehr
verehrten und geliebten Region gestorben.
Etwas verwunderlich ist es schon, daß
erst jetzt in der ansonsten kulturell höchst
lebendigen Südschweiz mit einem Museum an den
großen Dichter erinnert wird, der immerhin gut die
Hälfte seines Lebens im Tessin verbrachte. Der aus dem
württembergischen Calw stammende Hesse (18771962)
hatte das Asyl in dem italienischen Kanton
der Schweiz mit Bedacht gewählt. Denn hier, so Hesse,
war das Leben möglicher. Und auch das
Schreiben, Malen, Philosophieren.
Auf drei Etagen
Das zwar kleine, gleichwohl sehr
schöne Museo Hermann Hesse befindet sich in
dem berühmten, wenige Kilometer südlich Luganos
gelegenen Dorf Montagnola, wo Hesse bis zu seinem Tod
gelebt hat. Und auch das Museums-Domizil selbst, das erst
am 2. Juli anläßlich des 120. Geburtstages
des Dichters eröffnet wurde, ist bei aller heimeligen
Winzigkeit ein literaturhistorischer Ort. Die
Hesse-Erinnerungen nämlich werden auf den drei Etagen
eines schmalen Nebengebäudes der Casa Camuzzi
präsentiert. Und in eben diesem neobarocken Palazzo aus
dem 19. Jahrhundert (Hesse: Dies schöne,
wunderliche Haus . . . hat mir viel
bedeutet) lebte der Schriftsteller von 1919 bis
1931.
Die Casa Camuzzi ist heute äußerlich
nahezu unverändert erhalten, innen jedoch beherbergt sie
nun Eigentumswohnungen. Weil öffentliche Gelder fehlten,
scheiterten Pläne, das Museum in dem architektonisch
verspielten, verwunschen-zauberischen Palazzo
einzurichten. Und daß es nun wenigstens gleich nebenan
entstehen konnte, ist vor allem einer Privatinitiative zu
verdanken; Ehrenpräsident dieses Fördervereins ist
übrigens der Dichter-Sohn Heiner Hesse.
Literarische Spuren
Auf den Spuren Hermann
Hesses heißt ein gut beschilderter Wanderweg, der
rund um Montagnola und zu den benachbarten Dörfern
führt. Vielerlei literarische Spuren gibt es freilich
vor al lem im Museum selbst. Die Fährten der Erinnerung
ausgelegt in Vitrinen und Regalen, markiert mit
Notizen und Tessin-Aquarellen Hesses oder illustriert mit
Kleidungsstücken und der Smith Premier No.
4-Schreibmaschine des Dichters reichen vom
legendären Steppenwolf über
Siddharta bis zum späten Opus magnum
Das Glasperlenspiel. Nicht zu vergessen
Klingsors letzter Sommer, jene rauschhafte,
durchglühte Erzählung über die Kunst, die Liebe, die
Vergänglichkeit und über die betörende
Atmosphäre der Tessiner Landschaft.
Italienisch heiter
Viele der stillen, oft steilen Pfade
und Wege durch die Täler und Dörfer, über die
waldigen, üppig umwucherten Hänge und, weiter oben,
über die kargen, felsigen Kuppen der Berge haben sich
seit Hesses Zeiten wohl kaum verändert. Unten jedoch, am
Saum des Lago di Lugano, zwischen Monte Brè und Monte
San Salvatore, den beiden Hausbergen der 80
000 Einwohner zählenden Stadtregion Luganos, herrscht
vitales Treiben. Zur ringsum bis weit in den Herbst
hinein reizvollen, von mediterranem Klima geprägten
Natur gesellt sich im urbanen Raum die Kultur. Und die
wird nicht mit spröder Verbissenheit vorgeführt,
sondern gibt sich trotz Schweizer Solidität und
dem Gespür für internationale Qualität
italienisch heiter.
Im Anschluß an die diversen Schiffs-,
Drahtseilbahn- oder Wandertouren kann man sich also auf
einen Kunst-Parcours begeben, der auch 1997 so
abwechslungsreich ist wie die Tessiner Landschaft. Einen
Höhpunkt bildet diesmal die große
Fernando-Botero-Ausstellung. Die retrospektiv angelegte
Schau im Museo d'Arte Moderna dokumentiert
ebenso unterhaltsam wie informativ das in jeder Hinsicht
üppige Werk des 1932 geborenen kolumbianischen Malers
und Bildhauers.
Pralles Panoptikum
Boteros pralles Panoptikum fülliger
Menschen, diese zwischen Groteske, Ironie und Anteilnahme
balancierenden kugelrunden Wesen sind auf eigentümliche
Weise faszinierend und irritierend zugleich. Entsprechend
lebhaft und gemischt sind auch die Publikumsreaktionen,
vor allem in der Fußgängerzone Luganos: Gleich im
ganzen Dutzend thronen entlang der Via Nassa die
voluminösen, weit überlebensgroßen
Mensch-&-Tier-Bronzen Boteros.
Und wer schließlich weniger
kalorienkräftige Kunst bevorzugt, dem kann neben
zahlreichen weiteren Galerien und Museen in und um Lugano
herum immer noch die Villa Favorita empfohlen
werden. Denn die Sammlung Thyssen-Bornemisza ist hier
weiterhin präsent. Zwar nun nicht mehr mit der
hochkarätigen Gemäldegalerie Alter Meister (sie ging
bekanntlich 1992 nach Spanien), dafür aber mit einer
beachtenswerten Kollektion von Bildern amerikanischer und
europäischer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts.
Die Palette reicht dabei von lichtdurchfluteten
Landschaftsansichten über Beispiele des deutschen
Expressionismus (u. a. Nolde und Schmidt-Rottluff)
bis hin zu amerikanischem Action-Painting und
Fotorealismus.
Draußen im Parkgelände der Villa
Favorita kann man anschließend entspannt flanieren. Der
Blick mag dann auch über den See und hinüber Richtung
Monte San Salvatore schweifen. Gleich dahinter liegt
Montagnola. Und die Erinnerung an Hermann Hesse, der
über seine Wahlheimat 1960 geschrieben hat: Ich
habe oft und oft das Lied dieser Berge, Wälder,
Rebenhänge und Seetäler gesungen . . .
und so hoffe ich, wenn ich auch kein Tessiner geworden
bin, die Erde von St. Abbondio werde mich freundlich
beherbergen, wie es Klingsors Palazzo . . .
so lange Zeit getan hat.
Museo Hermann Hesse, Torre Camuzzi, 6926 Montagnola,
Schweiz. Geöffnet bis 30. Oktober täglich außer
Mo. 10 bis 12.30 und 14 bis 18.30 Uhr. Eintritt fünf
Franken. Info-Tel. 00 41/91/9 93 37 70.
Die Botero-Schau im Museo d'Arte
Moderna Lugano dauert bis zum 12. Oktober; Di. bis
Fr. 10 bis 12 und 14 bis 18, Sa./So. 10 bis 18 Uhr.
Eintritt acht Franken. Katalog 50 Franken. Info-Tel. 00
41/91/8 00 72 01.
Fondazione Thyssen-Bornemisza, Villa
Favorita, Castagnola. Eintritt zehn Franken. Info-Tel. 00
41/91/9 71 61 52.
Tourist-Information Lugano, Riva
Albertolli Palazzo Civico, 6901 Lugano, Schweiz.
Tel. 00 41/91/9 21 46 64.
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