Die Angst
vorm Abfragen
Lehrer könnten bei dem
Ritual mehr Fingerspitzengefühl zeigenAbfragen: Bei manchen Lehrern bedeutet dieses
Ritual immer noch Angst und Schrecken für die Schüler
auch für jene, die sich gut auf den Unterricht
vorbereitet haben. Das liegt zu einem großen Teil an dem
Ton, der bei einer Abfrage herrscht. Wenn man aufgerufen
wird, ist man sowieso schon nervös, da sind dann nicht
auch noch Kommentare nötig, die einen zusätzlich
verunsichern.
Was soll man noch antworten, wenn das
erste, was man gesagt bekommt, noch bevor man den Mund
aufgemacht hat, einem klar verdeutlicht, daß man sowieso
nichts kann. Vielmehr wäre es zu diesem Zeitpunkt
wünschenswert, etwas Positives, Aufbauendes zu hören.
Während der ganzen Abfrage ist es nicht nötig, daß der
Lehrer den Schüler heruntermacht auch wenn dieser
nichts gelernt hat. Denn nur in seltenen Fällen ist die
Faulheit des Jugendlichen der Grund dafür.
Gründe wie Nachmittagsunterricht am
Vortag oder die Tatsache, daß an diesem Tag besonders
viele lernintensive Fächer auf dem Stundenplan stehen,
sollten von Lehrern berücksichtigt werden. Eine
schlechte Note zu bekommen, kann jedem passieren, und
dann ärgert man sich schon genug darüber. Vor allem
dann, wenn man sich sonst immer gut auf den Unterricht
vorbereitet. Sprüche wie Ich hab dir schon
angesehen, daß du nichts kannst, sind fehl am
Platz und können sehr verletzend wirken.
Doch nicht nur der Ton, in dem die
Abfrage durchgeführt wird, gibt Grund zur Kritik. Der
Stoff, der in einer Schulstunde durchgenommen wird ist
meist sehr umfangreich und oft auch noch schwer zu
verstehen. So kommt es vor, daß ein Schüler nicht immer
über jede Kleinigkeit Bescheid weiß. Wenn ihm dann nur
eine Frage gestellt wird, die er vielleicht nicht
beantworten kann, und er sich wieder hinsetzen muß, hat
er Pech gehabt. Auch wenn er vielleicht einen Großteil
des übrigen Stoffes gut beherrscht hätte. Deshalb ist
es für die Schüler besser, wenn nur ein oder zwei
Kandidaten pro Stunde abgefragt werden. So läßt sich
vielleicht ein Fehler wieder ausbügeln.
Dies ist jedoch noch nicht der letzte
Kritikpunkt. Denn auch das Schulaufgabenproblem darf
nicht unerwähnt bleiben. Oft kommt es zwischen Schülern
und Lehrern zu einer Auseinandersetzung, wenn an Tagen
abgefragt werden soll, an denen eine Schulaufgabe
geschrieben wird. Die Lehrkräfte führen dann immer das
Argument ins Feld, daß sie nicht genügend mündliche
Noten machen können, wenn sie auf Schularbeiten
Rücksicht nehmen müßten. Aber man kann ja auch durch
Beobachtung eines Schülers über längere Zeit eine Note
vergeben, oder einfach Referate verteilen.
Ebenso oft wird darauf hingewiesen,
daß in der Schulordnung nur Stegreifaufgaben untersagt
sind, nicht aber mündlichen Prüfungen. Das ist leider
richtig, jedoch bei genauer Betrachtung nicht konsequent.
Schließlich bedeutet eine Note aus einer Abfrage
genausoviel wie eine Ex, und das Kultusministerium wird
sich bei seinem Verbot schon etwas gedacht haben. Und all
diese Gründe, die für ein Verbot von Stegreifaufgaben
an Schulaufgabentagen sprechen, gelten schließlich auch
für Abfragen.
Deswegen wäre es schön wenn die
Lehrkräfte (die es jetzt noch nicht tun) ein wenig
Rücksicht auf ihre Schüler nehmen würden und
freiwillig auf eine Abfrage an den betreffenen Tagen
verzichten es sind ja nicht allzu viele. Oder sie
rufen Schüler auf, die sich freiwillig melden. Denn:
Kann ein Lehrer es guten Gewissens verantworten, einem
Schüler eine schlechtere Note zu geben, als er es
eigentlich verdient?
CHRISTIAN ENZ,
Oskar-von-Miller-Realschule, Rothenburg o.T
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