Frischer
"Wind" im Schlachthof
Aus dem großen Saal
im Münchner "Gasthaus im Schlachthof" schallen
wummernde Bässe - Soundcheck der Londoner Triphop-Band
"Faithless". Anna Bosch hat sich eine Etage
höher, vor dem Redaktionsbüro, in einen beigen
Oma-Sessel zurückgezogen. Das plüschige Möbelstück
wirkt wie ein Fremdkörper in dem langen, kahlen Gang.
"Schön, wenn Sie Ihr Herz verschenkt haben. Würden
Sie das auch mit Ihrer Niere tun?" Konzentriert
murmelt die zierliche junge Frau vor sich hin, die
braunen Augen ins Leere gerichtet. Immer wieder blickt
sie verstohlen auf die engbeschriebenen Karteikarten in
ihrer Hand und fährt dann im Flüsterton fort. Noch
knapp vier Stunden, bis sich Kameras und Augen der
Zuschauer auf sie richten. Dann muß der Text sitzen.
Anna Bosch gehört seit September zum Moderatorenteam
der Sendung, die seit zwölf Jahren im Programm des
Bayerischen Rundfunks für Jugendlichkeit sorgt:
"Live aus dem Schlachthof" ist der neue,
"alte" Name, denn nach Zwischenstation im
"Nachtwerk" und dreijährigem Aufenthalt in der
kühlen, großräumigen Alabama-Halle ist die Talksendung
in die gemütliche Kneipenatmosphäre des
Schlachthof-Wirtshauses zurückgekehrt. Von
Gemütlichkeit ist gerade noch nichts zu spüren in dem
holzvertäfelten Saal, der später über etliche
bayerische Bildschirme flimmern wird.
Probe auf Hochtouren
"Habt Ihr die Mikros?", "Anna, sag' mal
was!" "Auf dem Podest ist ein Tisch
zuviel." 17 Uhr, die Moderationsprobe läuft auf
Hochtouren. Einige der etwa 70 Mitarbeiter müssen auf
dem Podest in die Rollen der Gäste schlüpfen. Gezielt
weist die Regisseurin Kameramännern, Moderatoren und
"Gästen" die Positionen zu. Anna steckt noch
im Schlabberlook: hellbraune Cordlatzhose, Kapuzenjacke
aus Teddyfell. Die dunklen Haare hat sie im Nacken
zusammengebunden, doch eine Strähne läßt sich nicht
einmal von der Gänseblümchen-Spange bändigen.
Die Kulmbacherin, die bei der "Vampy-Show"
auf RTL 2 bereits Moderationserfahrung gesammelt hat, ist
Teil des neuen Konzepts: Jünger, frecher, aktueller soll
es sein - und die Quote wieder nach oben treiben. Als
Prototyp der Girlie-Bewegung führt die 23jährige durch
die Sendung, an ihrer Seite Christoph Bauer, das
männliche Gegenstück mit Augenbrauen-Piercing und
flotten Sprüchen. Sandra Limoncini, die zweite
"Neue", hält mit "Schlachthof
unterwegs" in bayerischen Städten und Dörfern per
Satellitenschüssel live die Stellung. Neu ist auch der
Sendeplatz, der von Montag auf die donnerstägliche Prime
Time um 20.15 Uhr gerutscht ist. Inzwischen ist es 19
Uhr. Im Erdgeschoß strömen bereits die Zuschauer
herein. Anna sitzt oben in der Maske, von Aufregung noch
keine Spur. "Das geht so eine Viertelstunde vor der
Sendung los", sagt sie, während ihr Maskenbildnerin
Kim mit der Puderquaste über die Nase stäubt. Die
Wimpern tuscht sich Anna selbst. Zwischendurch bleibt
Zeit, über Nürnberg zu reden. So manches Wochenende
verbringt Anna in der Stadt, denn ihr Freund wohnt und
studiert hier. Disconächte im "Mach 1"
gehören jedoch der Vergangenheit an. "Ich glaub',
ich bin zu alt dafür." Optisch zumindest bleibt
Anna heute dem Mädchen-Image treu: Das Haar zu frechen
Zöpfchen gebunden und im legeren College-Outfit trifft
sie die Talk-Gäste zum Vorgespräch. Bei Kerzenschein
und Bier stellen sich die Moderatoren vor und besprechen
den Ablauf der Diskussion. "Sie werden sehen, daß
es im Rampenlicht halb so schlimm ist", beruhigt
Anna noch eine Frau, die vor Lampenfieber zittert. Dann
wird's auch schon ernst.
Zehn Minuten vor Sendebeginn starten Christoph und
Anna im Saal das "Warm-up" fürs Publikum,
proben Beifall und Buhen. Einige Besucher werden direkt
mit dem heutigen Thema konfrontiert: "Würden Sie
eine Niere spenden?"
Die Sendung beginnt. Es ist brechend voll. Wer jetzt
noch kommt, muß sich mit einem Stehplatz begnügen.
Vanessa und Daniela sitzen auf den Stufen des Podests.
Gelangweilt verfolgen die beiden 16jährigen die
Diskussion um Organspenden zwischen Ehepartnern.
"Eigentlich sind wir nur wegen der Band hier",
sagt Vanessa. "Die Themen sollten halt nicht immer
so ernst sein", beschwert sich ihre Freundin. Selbst
Annas peppige Moderation - "Die Geschenkidee für
Weihnachten: ein Organ!" - kann sie nicht
überzeugen.
Zweiter Ansturm
Nach 45 Minuten ist der redaktionelle Teil der Sendung
zu Ende, jetzt steht Live-Musik von "Faithless"
auf dem Programm. Hektische Betriebsamkeit bricht aus:
Stühle und Tische werden in Windeseile beseite
geschafft, das Thekenpersonal bereitet sich auf den
zweiten Ansturm vor und füllt klirrend die
Kühlschränke auf. Durch einen Seiteneingang strömen
die jungen "Faithless"-Fans herein.
Beim Top-Ten-Hit "Salva mea" verwandelt sich
der Saal in einen brodelnden Kessel. Das Konzert
zumindest ist ein voller Erfolg. Während unten die
Besucher tanzen, klatschen und johlen, telefoniert Anna
im Redaktionsbüro mit ihren Eltern. "Direkt nach
der Sendung kann ich grundsätzlich nicht beurteilen, wie
ich war. Meine Eltern sind die ersten Kritiker, und sie
fanden's gut." Annas Wangen glühen noch. Ihr
persönliches Rezept, um von der Anspannung
"runterzukommen": ein kühles Weißbier.
DENISA RICHTERS
|