„Mehrheit der Jugendlichen ist auf dem Holzweg“
Der Grüne Matthias Berninger ist der jüngste Abgeordnete im Bundestag – Moderner Nomade mit Vorliebe für Drahtesel und Cola-light

Hören Jugendliche das Wort Politik gehen in aller Regel die Klappen runter: Politiker führen endlose Debatten und liefern doch nur leere Worthülsen, sie graben uns Zukunftschancen ab und sind vor allem zu alt, denken sich viele und wenden sich ab. „Ich glaube, daß die Mehrheit der Jugendlichen auf dem Holzweg ist“, meint Matthias Berninger.

Seit 1994 sitzt er für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und ist mit 26 Jahren der jüngste Abgeordnete. Die Politikverdrossenheit der Teens und Twens kann Berninger nicht akzeptieren: „Es gibt schließlich Alternativen zu dem, was die Regierung im Moment macht.“

Rein äußerlich erfüllt der Bundestags-Youngster eher das Bild eines dynamischen BWL-Studenten als das eines Grünen: dunkler Anzug, randlose Brille, korrekter Haarschnitt. „Ich bin nicht so ein typisch grünes Kind einer 68er-Familie“, sagt Berninger. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater Dreher. Dennoch verschlang der kleine Matthias schon in der Grundschule die Tageszeitung und begann im zarten Alter von zwölf Jahren, schwer zu politisieren. Ein Onkel – bei der Bundeswehr beschäftigt – kriegte die verbalen Attacken seines wortgewandten Neffen regelmäßig zu spüren.

Neun Uhr morgens: Matthias Berninger sitzt im lauschigen Wintergarten der Kantine des Bundeshauses. Wie jeden Morgen hat er seine Zeitungslektüre (taz, Bild, FAZ und SZ) bereits hinter sich. Das Handy klingelt. Mitarbeiterin Heike gibt Bescheid, daß sich eine wichtige Abstimmung verschiebt. Es bleibt also mehr Zeit für das Gespräch. Der schon zu so früher Stunde äußerst dynamische Grüne („Ich rede zu lang, zu schnell und zu kompliziert“) bestellt sich zwei Cola-light als Kaffee-Ersatz: „Ich war in Amerika, da bin ich auf den Geschmack gekommen.“

Zu den Grünen gekommen ist er mit 17 Jahren, zur Zeit der Grabenkämpfe zwischen Fundis und Realos in der Partei. „Die Grünen dürfen nicht von der Bildfläche verschwinden“, sagte er sich und startete zur klassischen Politiker-Karriere: zuerst Gemeindevertreter in seiner hessischen Heimat Ahnatal, seit 1993 im Kreistag und schließlich über die Landesliste in die Bundespolitik.

Der Job bringt viel Streß und Termine mit sich, ein Arbeitstag von sieben bis 22 Uhr ist keine Seltenheit. Etwa 30 Wochen im Jahr verbringt der „moderne Nomade“ Berninger in Bonn, die restliche Zeit ist er auf Deutschlandtour oder lebt in Kassel bei seiner Frau, die er im Januar geheiratet hat. In seiner spärlichen Freizeit hört er Musik von Dire Straits und R.E.M. („Den Techno-tanzenden Lafontaine werde ich nicht machen“) oder liest Bücher von Max Frisch.

„Am liebsten möchte ich mich manchmal einfach nur stupide vor die Glotze setzen“, meint Berninger. Doch auch der Freundeskreis will gepflegt werden. Um alles unter einen Hut zu bringen, hat er drei eiserne Grundregeln: Freitagabend keine politischen Termine, Sonntagmorgen Fußball spielen und Freunden die Fahrräder reparieren. Davon hat er sich noch bis vor kurzem sein Lehramtsstudium finanziert. Inzwischen betreibt er die Drahtesel-Wartung nur noch als Hobby.

Seine Kindheit hat Berninger in einer dörflichen Idylle verbracht, die Nachbarskinder waren regelmäßig um den Mittagstisch der Familie versammelt. Eigentlich sollte er als Kind dem Beispiel seines Fußball-begeisterten Vaters folgen, doch Matthias spielte lieber Schach – mit elf Jahren sogar in einer relativ hohen Spielklasse. „Mein Vater hat mich wegen meiner fußballerischen Unfähigkeit fast enterbt“, erinnert er sich heute. Doch die Wogen glätteten sich wieder, und der Filius fuhr schließlich Radrennen, statt profimäßig Bälle zu kicken.

Inzwischen hat er ein politisches Steckenpferd. „Baff“ heißt es und steht für Bundesausbildungsförderungsfond. Die Idee: Jeder Student kann monatlich bis zu 1050 Mark bekommen ohne langwierige Anträge und völlig unabhängig vom Einkommen der Eltern. Wer die Leistung in Anspruch nimmt, geht eine Beitragsverpflichtung ein: Je mehr man nimmt, desto höher ist später die Rückzahlung.

Bis zu fünf Prozent des Bruttoeinkommens fließen dann maximal 25 Jahre lang zurück in den Fond. Die Bafög-Alternative sei völlig unbürokratisch, so Berninger, weil jeder seine individuelle „Baff“-Card direkt bei der Bank aufladen kann. Die Geldinstitute regeln dann auch die Verwaltung. Sogar Bundesbildungsminister Rüttgers (CDU) spendete Lob.

Den Kontakt zur politischen Konkurrenz scheut Berninger ohnehin nicht. „Pizza-Connection“ werden die regelmäßigen Treffen zwischen jungen CDUlern und dem Grünen-Nachwuchs bei einem Bonner Italiener genannt. Für Berninger ein wichtiger Teil politischer Kultur. „Es ist ein Treffen zwischen der Oppositon von heute und der von morgen“, sagt er mit verschmitztem Lächeln.

Wobei die überparteiliche Zusammenarbeit natürlich ihre Grenzen hat. Und wie steht's mit einem Bundeskanzler Berninger? „Mit Sicherheit nicht“, kommt prompt die Antwort, „denn sollten die Grünen zum Zuge kommen, wird es natürlich eine Bundeskanzlerin.“

DENISA RICHTERS

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