„Hier kriegst du eine
Ahnung von der heilen Welt“
Ferien auf die andere Art: Helfen im französischen Wallfahrtsort Lourdes
„Wie ein billiger Urlaub“ – Auch etwas für Nicht-Katholiken

Es fing damit an, daß der 14jährigen Bernadette Wundersames widerfuhr. An einem Wintertag war in der Wohnung ihrer Eltern das Feuer ausgegangen, die Familie fror. Bernadette ging los, um Brennholz zu sammeln. In einer Felsgrotte hatte sie eben welches entdeckt, da spürte sie einen Windstoß. Bernadette schaute auf und traute ihren Augen nicht: Eine weißgekleidete Frau stand vor ihr, eine Frau, die sich bekreuzigte. Bernadette begann vor Schreck zu beten. Im nächsten Moment hatte sich die Gestalt in Luft aufgelöst.

In den nächsten Tagen erschien die Unbekannte dem Mädchen immer wieder. Die Frau, die für andere unsichtbar blieb, stellte sich Bernadette als Jungfrau Maria vor. Bald geschah am Ort dieser geheimnisvollen Begegnungen das erste von vorläufig 65 kirchlich anerkannten Wundern: Eine Frau tauchte ihre gelähmte Hand in die Quelle, die in der Grotte entsprang, und konnte die Hand wieder bewegen.

Fahrspuren für Rollstühle

Das alles soll sich vor über 140 Jahren in Lourdes (Frankreich) abgespielt haben. Heute ist das Städtchen am Fuß der Pyrenäen ein berühmter Wallfahrtsort, in den jedes Jahr Millionen Menschen pilgern. Sie baden in der Quelle, trinken ihr angeblich heilendes Wasser, schöpfen es kanisterweise ab. Abends schreiten sie zu Tausenden durch den Heiligen Bezirk, beten und singen Ave Maria. Vorneweg in Rikschas, Rollstühlen und fahrbaren Betten die Kranken, für die es auf Lourdes Straßen eigene Fahrspuren gibt.

Ohne die freiwilligen Helfer, die bénévoles, liefe in Lourdes nichts. Sie sorgen als Lotsen dafür, daß bei den Prozessionen alle den richtigen Weg einschlagen. Sie schieben und ziehen die Kranken in den Rollstühlen und Rikschas durch die steilen Gassen der Stadt. Viele junge Leute werden für ein paar Tage oder Wochen als bénévoles aktiv. Zum Beispiel Ingo und Lucia.

Ingo (21), Maschinenbaustudent aus Essen und ein eher nüchterner Typ, glaubt an den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist, die Gottesmutter Maria. Ingos Devise: „Der Glaube ist eine Sache, die ich nicht beweisen und von der ich andere nicht überzeugen kann. Man glaubt oder man glaubt nicht.“ Mit den Sonntagsgottesdiensten nimmt er es nicht so genau. Nach langen Samstagnächten ist er oft zu müde für die Messe. „Ich geh' ja auch nicht ins Kino und schlaf' dabei ein“, grinst er.

Lucia (20), Medizinstudentin, formuliert ernster als Ingo. Für sie ist Gott „das Zentrum und das Heil meines Lebens“. Eine Freundschaft mit jemandem, der ihren Glauben nicht teilt, kann sie sich nicht vorstellen. Lucia spricht vom „Weg, den mir Gott zugedacht hat“ und der „wahrhaftigen Liebe“, und all das klingt bei ihr sehr überzeugend.

Gleichgesinnte treffen

Für beide ist Lourdes ein Ort, an dem sie Gleichgesinnte treffen und „an dem man eine Ahnung von der heilen Welt kriegt, in der sich die Gesunden um die Schwachen, die Kranken und Alten kümmern“. Deswegen fahren Ingo und Lucia jedes Jahr wieder hin.

Diesmal arbeiten beide im „service d'accueil“, dem zentralen Informationspunkt für die Pilger. Ihren Job beschreibt Lucia so: „Ich empfange meine Landsleute in ihrer Muttersprache und gebe ihnen so das Gefühl, daheim angekommen zu sein.“ Sieben Stunden am Tag beantworten Lucia und Ingo Fragen wie „Wo ist die Grotte?“, „Wann ist Messe?“, „Wer ist Jesus?“, „Um wieviel Uhr erscheint Maria?“.

Ganz selbstlos ist der unbezahlte Einsatz der beiden nicht. Ingo: „Man kann das hier auch als billigen Urlaub betrachten, in dem man andere Sprachen lernt und jede Menge Leute trifft.“ Gelegenheit dazu bietet sich abends im Foyer, wo immer was los ist, wo gesungen, getanzt, gefeiert wird. Lucia schwärmt von den tollen Abenden, die ihr inzwischen einen internationalen Freundeskreis beschert haben. Es sind Leute aus Neapel, San Francisco und Togo darunter.

Mehr als hunderttausend freiwillige Helfer kommen pro Jahr nach Lourdes. Sie arbeiten im „service d'accueil“, aber beispielsweise auch im Jugendcamp (Organisation von Veranstaltungen für jugendliche Pilgergruppen), im Krankendienst (Pflege und Betreuung), in der Cité Saint-Pierre, dem Zentrum für mittellose Pilger (Küchen- und Empfangsdienst, Betreuung der Pilger).

Die Einsätze der Helfer dauern meist zwei, drei Wochen. Kost und Logis sind umsonst oder zumindest nicht teuer. Wer sich für einen Helfer-Job interessiert, muß mindestens 18 sein und sollte sich auf französisch verständigen können. Man muß nicht katholisch sein, sollte mit der Kirche aber nicht auf Kriegsfuß stehen.

Die Kontaktadresse: Sanctuaire Notre-Dame de Lourdes, à l'attention du Coordinateur pour les pélérins de langue allemande, 1 Avenue Monseigneur Théas, 65100 Lourdes, France. BIRGIT DACHLAUER

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