Zwischen Protagonist
und Märtyrer

Ein junger Statist schildert seine Erlebnisse bei den Städtischen Bühnen Nürnberg - "Entschuldigung"

Nervöses Treiben um mich her, einer spuckt mir über die Schulter, dreimal über die richtige natürlich, Winken, "Hallo". Mein Blauhelm sitzt noch nicht richtig. Korrektur. Von Ferne eine Stimme: "Die Herren werden gebeten, im Zuschauerraum Platz zu nehmen." Also los. Irgendwoher höre ich "Super", mit langem "a" am Schluß, den Leiter der Statisterie. Noch einmal Zupfen und Nesteln, dann hinsetzen, warten auf Menschen.

Die Türen öffnen sich. Meine inneren Uhren springen auf Ernstfall. Manche halten mich für eine Puppe, erschrecken, wenn sie meine Körperwärme fühlen, murmeln "'tschuldigung", setzen sich, lachen nervös. Ein Statist war's, nur.

Ja, nur ein Statist. Aber trotzdem: immerhin. Einer von denen, die zwischen ihrer privaten und der Bühnenwelt frei umherflottieren, von "denen draußen", im "Off", als Möchtegernkünstler argwöhnisch-neidisch beäugt, von denen drinnen, im Licht der Bühne, als notwendiges Übel hingenommen.

Dabei kann ein Statist in kniffeligen Situationen auf der Bühne auch ein Gutmaß an Sicherheit sein, eine Stütze. Vielleicht ist es so, daß "der Statist" sich bewegt und genau zu dieser einen, vielleicht sogar manchmal von einem Regisseur choreographierten Bewegung, tut ein Protagonist ebenfalls etwas, so daß beide sicher sind, das Richtige getan zu haben.

Zwischen den Welten ist es einsam, meist. Wenn da nicht "Leidensgenossen" wären, die mitzittern, wenn man doch nur "mal eben kurz" über die Bühne zu laufen hat. "So schwierig kann das doch nicht sein!" höre ich Regisseure in meinen Ohren klingen. Doch, ist es.

Man kann nicht manövrieren, hat keine Souffleuse, braucht sie auch nicht wirklich (es sei denn, um mit ihr nach der Vorstellung Witze und so manch nettes Wort beim Skat auszutauschen), lediglich einen gutmeinenden Inspizienten, der einem das Zeichen gibt und dann hinaus, zu den Solisten auf die Bühne, um ein Glas zu überreichen, damit angestoßen werden kann, einen Dolch, damit nicht versehentlich einer am Leben bleibt, der doch zum Schluß tot zu sein hat, eine Fackel zu geben, damit Elektra dem Ägisth den Weg zeigen kann. Keine schweren Verrichtungen, aber wichtige.

Denn bis man nun am Ort der Verrichtung ankommen kann, hat man mehrere Dinge zu beachten: 1. Nicht stolpern (was ziemlich schwierig sein kann auf dunkler Bühne); 2. Keine Dame oder keinen Herren des Chores a) verdecken, b) versehentlich beschmutzen, c) zur Seite drängen (und sei es nur, um rechtzeitig da zu sein, wo man denn hin soll), d) versehentlich verletzen, 3. wie 2., nur diesmal gilt es für Solisten.

Ab in den Orchestergraben

Und wenn es zu Gedränge und Panik auf der Bühne kommen sollte, dann merke wohl, kleiner Statist, du bist der erste, der in den Orchestergraben gestoßen wird (dies kann zwar wütende Proteste einzelner Orchestermitglieder hervorrufen, muß aber von einem guten Statisten stumm und dankbar entgegengenommen werden, denn immerhin hat sich ja mal jemand um einen gekümmert - und in diesem Falle waren es ja sogar mindestens zwei Personen: ein Bühnendarsteller und mindestens ein Orchestermitglied.

Letztere sollten nicht - auch nicht unabsichtlich-indirekt! - mit Sektkorken beschossen werden, da sonst - wie ich aus eigener Erfahrung weiß - puterrote Verzweiflung bei den Holzbläsern ausbricht, die in diesem Falle stets betroffen waren). Dies alles führt uns zur Grundvokabel eines soliden Statistendaseins, welche die einzig und allein Letztseligmachende ist: das Wort "Entschuldigung". Avancierte Vertreter der Gattung, die fremdsprachenkundig sind, behelfen sich manchmal mit "Sorry", jedoch wird dies meist als Bildungsarroganz betrachtet und deswegen von professionelleren Statisten vermieden.

Und so sind wir Statisten Laien, Dilettanten im ursprünglichsten Wortsinn: Liebhaber des Genres, und versuchen vor allem zu vermeiden eines: als bloße Clowns angesehen zu werden, die nach Art kafkaesk verdrehter und motorisch homologisierter Bürodiener ihr eigenes Antlitz vergessen, um weiter auf der Bühne bleiben zu können. Auch hier wieder Märtyrertum, ein kleines. Es gibt natürlich auch die Lichtseiten des Märtyrertums:

Denn: kein Licht ohne sie, die dienstbaren Geister, ohne deren banal-hilflose Anwesenheit keiner der Solisten, Protagonisten - und seien sie noch so weltberühmt - auf der Bühne richtig beleuchtet wäre. Denn auch dafür sind sie zuständig, wie der Name ja schon sagt: Dastehen, Dastehen, einfach so, auf der Bühne, um den Scheinwerfer noch einmal so einzurichten, daß eine Figur dramaturgisch richtig beleuchtet werden kann, nicht zu hell, nicht zu dunkel. Sichtbar zumeist.

Verfügungsmasse - unterbezahlt. Wie lange es her ist, daß der Stadtrat sich einmal mit den Statisten und ihren Bezügen befaßt hat, können nur ältere Statisten vage vermuten, wissen tut's keiner. Und doch: Studenten hilft der karge Lohn, ein wenig besser zu leben, den Rentnern bessert es ein wenig die Rente auf. Statisterie ist auch ein Sozialdienst an einigen wenigen, die das Glück hatten, da hineingerutscht zu sein.

Und wieder stehe ich auf der Seitenbühne, bin nervös und gespannt bis zum Zerreißen, betrete die Bühne, höre das "Super" mit dem langen "a" am Ende hinter mir, irgendwoher jemanden murmeln "aus dem Weg, du bist da falsch" neben mir und ein trotziges "wurde aber auch Zeit" vor mir und fühle mich wohl. Denn hinter mir stehen im Geiste die Schneider, Ankleider, die Technik, die Beleuchter, der Regieassistent, vielleicht manchmal auch der Regisseur und flüstern mir ins Ohr: "Nur Mut!"

Und um dieses Gefühl allein, vor tausend Menschen im Zuschauerraum, möchte ich mit niemandem tauschen. Selbst, wenn "Statisten" beim Applaus auch nur von Freunden und Bekannten mit dem "Bravo" bedacht werden, das sie verdient hätten - manchmal.

ALEXANDER LÖBLEIN, Student aus Nürnberg

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