Fehlerhafte Gene können einen
verhängnisvollen Anstieg des für die Blutgerinnung
wichtigen Enzyms Thrombin auslösen Oft macht das menschliche Erbgut den Herzinfarkt erst möglich Eine wissenschaftliche Spur führt sogar zu den Krebsleiden Der Grund dafür ist nur schwer zu verstehen Neue Studie geplant VON DIETER SCHWAB Im richtigen Leben ist es gelegentlich wie im Kino: Entscheidend ist die Frage, wer denn nun der Schurke ist. Wenn die Durchblutung nicht mehr richtig funktioniert, sich Herzkranzgefäße verengt oder eine Venenthrombose gebildet haben, dann hat derzeit ganz schnell der Patient diese Rolle inne: zu fett gegessen, zuviel geraucht, zuviel Streß und als Ausgleichssport lediglich auf dem Sofa die Bundesliga geguckt. Das ist immer noch nicht falsch aber auch nicht die ganze Wahrheit. Auf einem internationalen Symposion der Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung hat der niederländische Professor Marc Verstraete von der Universität Leuven einen anderen Übeltäter in Verdacht: Das zentrale Enzym ist das Thrombin. Das ist entscheidend für die Blutgerinnung, beeinflußt die Blutblättchen und animiert sie zum Klumpen. Wenn sich so ein Propf in Herz oder Hirn festsetzt, dann kann ein schwerer, häufig sogar ein tödlicher Infarkt die Folge sein. Wo ein Schurke ist, sind auch die Sheriffs nicht fern. Sie heißen in diesem Fall Prothrombin oder Antithrombin und halten den potentiellen Bösewicht üblicherweise soweit in Schach, daß er nur seine segensreiche Wirkungen bei Verletzungen ausspielen kann. Der Mechanismus ist so komplex, daß selbst vereinfachte Schemata verdächtig nach stundenlangem Kindergekritzel aussehen und von Faktoren mit Bezeichnungen wie 1b/IX, IIb/IIIa oder F-IIa nur so wimmeln. Zu wenig Wo zuviel Thrombin ist, müssen die beiden Ordnungshüter ihren Job schlecht machen, weil zu wenig dieser Substanzen vorhanden sind. Und dafür, so hat Professor David Cooper von der University of Wales in Cardiff ausgemacht, sind genetische Ursachen verantwortlich: Allein sieben verschiedene Veränderungen im Erbmaterial können dazu führen. Freilich können weitere Risikofaktoren die Thromboseneigung noch erhöhen, so langjähriges Einnehmen der Antibabypille, Operationen, Verletzungen oder auch Schwangerschaften. Die Antwort der Medizin auf dieses Defizit ist zum Beispiel die gerinnungshemmende Substanz Heparin. Damit läßt sich die tückische Thromboseneigung senken, zum Beispiel nach einem chirurgischen Eingriff auf der Intensivstation. Freilich steckt dieses Verfahren noch in den Anfängen, so daß der amerikanische Professor Jawed Fareed stöhnt: Wir müssen bei Heparin noch viel lernen. Beim Lernen ist auch Dr. Ajay K. Kakkar vom Thrombosis Research Center in London. Er hat das Thrombin unter noch schlimmerem Verdacht; denn es kann auch ein Gen beeinflussen, das die Zellteilung beeinflußt und nach Abschluß des Wachstums eigentlich abgeschaltet wird. Wird es aber wieder aktiviert, kommt es zu unkontrollierten Wucherungen nämlich Tumoren. Prompt fand der Wissenschaftler bei Krebspatienten erhöhte Thrombin-Werte und konnte stark überdurchschnittliche Thromboseneigung während der Behandlung nachweisen. Daß Heparin oder vergleichbare Substanzen das Tumorwachstum deutlich reduziert und die Lebenszeit verlängert, konnte Kakkar an Ratten nachweisen. Aber auch bei Menschen, beim sehr schwer zu behandelnden kleinzelligen Lungenkarzinom, verbesserten sich bei Gabe solcher Medikamente die Ergebnisse der Chemotherapie. Ganz geheuer sind dem Wissenschaftler diese Zusammenhänge noch nicht, denn: Der Grund dafür ist nur schwer zu verstehen. Deshalb soll jetzt eine neue Studie an 600 Patienten erklären helfen, was denn da eigentlich passiert. Länger gesund Im Kino hat die Gerechtigkeit gesiegt, wenn der Schurke dingfest gemacht worden ist. Das ist im Leben oft anders und so auch hier: Diese Zusammenhänge können erklären, wieso jemand trotz üppigen Lebensstiles steinalt wird und ein anderer, eher asketischer Mensch in der Lebensmitte vom Herzinfarkt dahingerafft wird. Aber dennoch gilt weiter, daß vernünftiger Lebensstil die Gesundheit im allgemeinen länger erhält wie die Gene auch immer beschaffen sein mögen. |
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