Erziehung zum Nichtrauchen muß rechtzeitig beginnen
,Kinder früh stark machen'
Nürnberger Projekt Klasse 2000 erfolgreich – Gute Berater nötig

VON VALERIE GIRSTENBREY

In Deutschland raucht nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO fast jedes dritte 15jährige Mädchen regelmäßig jede Woche. „Das ist die höchste Quote in Europa“, seufzte Dr. Pál Lászlo Bölcskei, Chefarzt der Medizinischen Klinik 3 am Klinikum Nürnberg vor Journalisten in München. Ein wirklich trauriger Rekord: Die Mädchen schlagen damit ihre männlichen Altersgenossen, von denen „nur“ jeder fünfte jede Woche raucht. Wenn es gelänge, im Teenageralter das Rauchen zu bekämpfen, wäre das Problem so gut wie gelöst. Von zehn Rauchern beginnen acht, ehe sie 20 Jahre alt sind.

Schon probiert

„Das Hauptproblem ist, daß zu spät mit der Prävention angefangen wird“, erklärt Bölcskei. Wenn das Rauchen in der Schule thematisiert wird, haben von den Zwölfjährigen schon zu viele Zigaretten probiert. Eine wirksame Vorbeugung müsse vorher einsetzen. Zwar wissen 94 Prozent der Schulanfänger, daß Rauchen krank macht, aber trotzdem hat jeder zehnte Erstklässler und jeder dritte Viertklässler schon einmal geraucht. Die meisten Kinder stibitzen die Zigaretten zu Hause. Bölcskei stellte das Modellprojekt „Klasse 2000“ vor, an dem seit 1991 bundesweit deutsche Grundschulklassen teilnehmen. Über alle vier Klassen hinweg beschäftigen sich die Kinder in Theorie und Praxis mit Gesundheitsthemen wie Ernährung, Luft und Atmung. Auch Neinsagen wird geübt, das Aushalten von Gruppendruck in „Verführungssituationen“.

Es reiche nicht, so Bölcskei, rationales Wissen zu vermitteln, wie das an deutschen Schulen gemacht werde. Gesundheitserziehung müsse das Lebensgefühl, das Körperbewußtsein sowie soziale Bedürfnisse Heranwachsender berücksichtigen. Hier sind auch die Eltern aufgerufen, ihr Kind durch eigenes Nichtrauchen, aber auch erzieherisch zu unterstützen. „Ich rate allen Eltern, ihr Kind so früh wie möglich stark zu machen, indem sie ihm Verantwortung geben für eigene Entscheidungen, indem sie Leistung belohnen und viel mit den Kindern kommunizieren“, sagt Bölcskei. Mit den bisherigen Ergebnissen ist er zufrieden. Am Ende der vierten Klasse hatte in den Versuchsklassen nur jeder vierte Schüler Raucherfahrungen gemacht, in den Vergleichsklassen jeder dritte.

Viele Jahre

„Die Crux ist“, stellt der schwedische Verhaltenstherapeut Professor Dr. Karl Olov Fagerström fest, „daß die Politiker viele Jahre warten müssen, bis sie finanziell etwas von der Prävention haben“. Der Raucher indes „zahlt“ für seine Sucht nicht erst in ferner Zukunft. Im mittleren Alter von 35 bis 69 Jahren haben Raucher bereits eine dreimal höhere Todesrate als Nichtraucher. Schafft ein Raucher indes den Ausstieg, fällt bereits nach fünf Jahren sein relatives Lungenkrebsrisiko um durchschnittlich 60 Prozent.

„Die Ärzte könnten sicher mehr für die Raucherentwöhnung tun, die Kliniken auch, aber sie werden dafür nicht bezahlt“, beklagt Bölcskei. Außerdem rauche in Deutschland jeder vierte Arzt selbst. Dabei möchte etwa die Hälfte aller Raucher gerne aufhören. „Ein Großteil von ihnen könnte es schaffen“, so Fagerström, „aber es fehlt an guten Beratern“. Mit gutem Beispiel geht Bölcskei am Nürnberger Klinikum Nord voran. Für 300 Mark bietet die Klinik einen zweiwöchigen Entwöhnungskurs nach der Schlußpunkt-Methode an. Die Erfolgsquote betrage bei Risikopatienten bis zu 50 Prozent.

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