Der Druck läßt nach
Die Studentenproteste haben bisher nichts bewegt

VON GEORG ESCHER

War's das? Einen Monat dauern die Studentenproteste an, und schon beginnt die Welle zu verebben. Nicht mehr an 100, allenfalls an 60 Hochschulen laufen noch Streikaktionen, Tendenz rapide sinkend. Und in einer Woche kehrt die weihnachtliche Ruhe in die Universitäten ein. So ähnlich war das auch beim letzten großen Zornesausbruch der Studenten an der Jahreswende 1988/89. Damals waren die Hochschulen sechs Wochen in Aufruhr. Dann ging's wieder in die Vorlesung, geändert hatte sich gar nichts.

Einspruch der Finanzminister

Nachdem sich zunächst alle mit Beifallsbekundungen für die Studenten überboten, ist es inzwischen auffällig still geworden. Für den einzigen Paukenschlag sorgten die Finanzminister, die in parteiübergreifender Einigkeit alle bisher diskutierten Bafög-Modelle als zu teuer abschmetterten. Den Bildungsministern scheint es seither die Sprache verschlagen zu haben.

Auf der Habenseite können die Studenten nur die vom Bonner „Zukunftsminister“ Rüttgers versprochene Bibliothekshilfe verbuchen, lächerliche 40 Millionen Mark. Ansonsten gibt es keinerlei Zusagen, auch nicht von den sich so reformfreudig gerierenden SPD-Ländern. Ob Hessen oder Bayern, überall dürfen sich die Universitäten trotz steigender Studentenzahlen auf neue Stellenkürzungen einrichten.

Das Fiasko könnte sich in dieser Woche sogar noch ausweiten. Wenn sich die Bildungsminister dem Diktat ihrer Finanzkollegen im Bafög-Streit nicht unterwerfen – und das ist nicht anzunehmen –, droht das Thema Studienreform von der Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz gestrichen zu werden. Die Blockade wäre vollständig.

Der Druck reicht noch nicht aus. 500 000 bis 700 000 Kommilitonen haben sich mobilisieren lassen. Doch solange die Demonstrationen friedlich bleiben – zum Teil waren sie sogar humorvoll –, werden sie offenkundig nicht ernst genommen. Soll es vielleicht erst zu Gewalttaten kommen, vor denen sowohl Rüttgers als auch einige Rektoren bereits gewarnt haben?

Die Beteiligten in der Protestfront, von den Rektoren bis zu den Studenten, machen es der Politik allerdings zu einfach. Selten ziehen sie an einem Strang. Während die Hochschulleitungen stärkere Befugnisse fordern, sträubt sich dagegen ein großer Teil des akademischen Mittelbaus. Viele Studenten fürchten gar, die Universitäten sollten im Sinne der Wirtschaft stromlinienförmig gemacht werden. Eine schlagkräftige Einheit ist das nicht.

Immerhin, es gibt Ansätze zur Vernetzung. Die Studenten versuchen inzwischen, an den Schulen oder bei den Gewerkschaften Bündnispartner zu gewinnen. Stellenweise wird auch die Zusammenarbeit mit den Professoren enger.

In der wichtigsten Frage – „Wie kommt zusätzliches Geld in die Kasse?“ – hat sich die Debatte freilich allenfalls millimeterweise weiterbewegt. Rektorenpräsident Landfried verlangt nun, die Ausgaben für die Hochschulen müßten, wie vor 20 Jahren, wieder auf ein Niveau von 1,3 Prozent des Bruttosozialprodukts angehoben werden. Doch weil er selbst nicht daran glauben mag, fordert er andernfalls weitere Zulassungsbeschränkungen. Soll das eine Lösung sein?

Modelle ignoriert

Ähnlich „bizarr“ ist, um den früheren SPD-Politiker und heutigen Erfurter Rektor Peter Glotz zu zitieren, der Streit um Studiengebühren. Gebetsmühlenartig wird beschworen, daß dies die soziale Auslese verschärfe, gerade so, als gäbe es im Ausland nicht genügend gegenteilige Modelle zu besichtigen. Natürlich könnte der Staat versucht sein, zusätzliche Einnahmen der Universitäten zum Vorwand zu nehmen, seine Mittel weiter zu kürzen. Aber auch hier zeigt der Blick über die Grenzen: Es muß nicht so sein.

Anstatt über die Mittel und Wege zu streiten, wie schädliche Nebenwirkungen vermieden werden können, wird gleich auf die gesamte Medizin verzichtet. Das ist eine gefährliche Kur.

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