Bob Dylan singt von Liebe und Sterblichkeit: „Time Out of Mind“

Von Helmut Räther, dpa

New York (dpa) – Seit 1990 hat Bob Dylan keinen neuen Song mehr gesungen, obwohl er ständig auf Tournee ist – am letzten Wochenende beispielsweise in Bologna mit dem Papst im Publikum des Eucharistischen Kongresses (Foto: ap). An diesem Dienstag aber kommt sein neues Album in den USA auf den Markt: „Time Out of Mind“ wurde von der „New York Times“ als sein „bei weitem Bestes“ seit den 70er Jahren beschrieben und auch von zahlreichen anderen Kritikern gefeiert.

Der 56jährige war in den letzten Jahren seit seinem Album „Under the Red Sky“ mit seinen letzten neuen Songs nicht untätig. Aber jene Sammlung wurde als eher enttäuschend bewertet, und sie war ihm ein Anlaß, härter zu arbeiten und sorgfältiger auszuwählen. Bei seinen Konzerten mochte er die Songs nicht ausprobieren, weil er illegale Mitschnitte haßt.

Jetzt singt er wie immer über sein Herzbluten nach bitteren Liebesgeschichten. Aber er singt auch über Sterblichkeit, vielleicht sogar über Todessehnsucht – obwohl das Album aufgenommen wurde vor einem langen Krankenhausaufenthalt in den letzten Monaten wegen seiner lebensbedrohenden Herzprobleme. Und er singt darüber, wie ein Mann in seinem Alter die Jungen beneidet.

17 Minuten lang ist der Song „Highlands“, in dem er junge Leute beim Trinken und Tanzen beobachtet: „I'd trade places with any of 'em in a minute if I could“, heißt es da traurig. Aus den Rissen in seiner Stimme, die es seit seinen frühen Auftritten gab, sind Schlaglöcher geworden.

Aus seinen Wunden in vielen Jahrzehnten als Rebell und Poet macht er kein Geheimnis, aus seinem Lebensgefühl auch nicht: „Viele der Songs wurden geschrieben, nachdem die Sonne untergegangen war. Ich mag Stürme, ich bleibe auf, wenn es stürmt.“ Wenn er singt „It's not dark yet, but it's getting there“ hört sich das eher wie eine sachliche Feststellung an als etwas, wovor ihm graut.

Dylan, der 1965 schon resignierend seine Überzeugung mit „Artists don't look back“ besang, wird sich natürlich trotzdem an seinen früheren Klassikern messen lassen müssen. Damals hatte er den Folk-Sängern neue Inhalte und neue Rhythmen beigebracht, einfach durch sein Beispiel, und die Rock-Songschreiber sangen nach ihm über andere Themen als nur über Mädchen und Sex. „Musik vor und nach Dylan ist so unterschiedlich wie Literatur vor und nach Shakespeare“, hieß es einmal in einem Fachmagazin.

Inzwischen sind es Generationen von Musikern, die von ihm beeinflußt wurden – last but not least sein Sohn Jacob mit seiner Band „The Wallflowers“. Dylan, dessen Song „The Times They Are a-Changing“ zu seiner Hymne wurde, weiß genug über die ewig gleichen Regeln des Musikgeschäfts, um sich außer Hoffnungen auch Sorgen zu machen: Wenn Jacob so tief wie sein Vater in die Schluchten der Rockszene geriete, wären beide nicht zu beneiden.

Die Begegnung mit dem Papst übrigens hatte mit gemeinsamem Glauben wenig zu tun: Nach einigen Jahren im fundamentalistischen Christentum ist Dylan längst wieder zu seinen jüdischen Wurzeln zurückgekehrt.

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