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Das
Leiden in bare Münze umrechnen Interview mit dem Versicherungsjuristen und Buchautor Andreas Slizyk zum Thema Schmerzensgeld Jeden Tag finden vor deutschen Zivilgerichten Tausende von Schmerzensgeldprozessen statt. Wie können Juristen das Leiden in bare Münze umrechnen? Wir sprachen darüber mit Andreas Slizyk. Der 40jährige aus Büchenbach bei Roth ist Autor von Fachbüchern, Rechtsanwalt und Prokurist einer Versicherung. Kann ich nach einem Unfall einfach
mit Tabelle und Taschenrechner feststellen, was mir an
Schmerzensgeld zusteht? Zum Beispiel 2000 Mark für eine
gebrochene Hand und 10 Slizyk: Nein, das geht nicht. Jeder Fall muß individuell beurteilt werden. Häufig kommen Mandanten mit Zeitungsausschnitten zum Anwalt, in denen sie haargenau ihren eigenen Fall wiederzuerkennen glauben. Sie sehen aber nicht, daß der zitierte Fall eben doch in entscheidenden Nuancen von dem ihren abweicht. Wie können Leid und Schmerz überhaupt in Geld umgemünzt werden? Slizyk: Bei der Bemessung des Schmerzensgelds sind viele individuelle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, insbesondere, welche Verletzungen der Patient erlitt und wie lange die Heilbehandlung gedauert hat. Auch mögliche Dauerschäden spielen eine Rolle. Entscheidend ist aber immer die Lebenssituation des Betroffenen. Sicher wird es einen Pianisten besonders hart treffen, wenn er einen Finger verliert. Seinen Beruf kann er dann wohl an den Nagel hängen. Man liest immer wieder, daß in den USA astronomische Summen bei Schmerzensgeld fließen? Gibt es bei uns ähnlich spektakuläre Fälle? Slizyk: Da fällt mir zum Beispiel ein
junger Mann ein, der aufgrund eines falschen ärztlichen
Gutachtens in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Erst
nach neun Jahren wurde der Skandal aufgedeckt. Der Mann
war bei seiner Entlassung psychisch völlig gebrochen, da
er jahrelang mit Psychopharmaka vollgepumpt worden ist.
Ihm wurden 500 Welche Entwicklungen zeichnen sich in unserer Rechtsprechung ab? Slizyk: Was die Höhe von
Schmerzensgeldern angeht, ist in den letzten Jahren ein
stetiger Aufwärtstrend zu beobachten. Wurden in den 60er
Jahren beispielsweise bei einer schweren
Querschnittslähmung noch 60 Können auch Hinterbliebene Schmerzensgeld erhalten? Slizyk: In Deutschland gibt es kein mittelbares Schmerzensgeld, wie etwa in Frankreich. Bei uns bekommt man nur dann Schmerzensgeld, wenn man selbst verletzt wurde. Das kann auch indirekt der Fall sein, etwa wenn man ein Unglück mitansehen mußte. Was ist, wenn Eltern ihre Kinder durch einen Unfall verlieren? Slizyk: Ein solcher Fall wurde in
Nürnberg verhandelt. Ein Elternpaar hatte bei einem
Autounfall seine drei Kinder im Alter zwischen 17 und 21
Jahren verloren. Der betrunkene Unfallverursacher fuhr so
lange mit geschlossenen Augen über eine Kreuzung
bis es eben krachte. Dem Vater wurden 60 Diese Summen klingen aber eher
lächerlich angesichts des großen Leids, das über die
Eltern hereingebrochen ist Slizyk: Für materielle Schäden gilt der Rechtsgrundsatz, den Geschädigten so zu stellen, wie er vor dem Unfall stand. Für immateriellen Schaden (Schmerzen) ist dies selbstverständlich nicht möglich. Hier soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten zumindest einen Ausgleich und eine gewisse Genugtuung für die erlittenen Schmerzen und Beeinträchtigungen bieten. Warum gibt es dann bei uns für psychische Verletzungen immer noch deutlich geringere Summen als für körperliche Schäden? Slizyk: Die Rechtsprechung tut sich in solchen Fällen noch sehr schwer. Ich meine: Es kann in Extremfällen keinen Unterschied machen, ob jemandem das Rückgrat tatsächlich oder im übertra genen Sinne gebrochen wird. Hier sollten gleiche Rahmen angesetzt werden. Interview: KARIN BECK |
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