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Ein Arbeitsunfall beim Mittagessen? Bundessozialgericht muß über knifflige Streitfälle entscheiden Kläger kämpfen häufig um die Rente VON
Sie rutschen auf Salatblättern aus, werden beim Brötchenholen angefahren oder stürzen beim Montieren einer Fernsehantenne in die Tiefe Unfälle auf dem Weg zur Arbeit oder im Betrieb sind nicht nur für die Betroffenen tragisch, sondern oft auch höchst knifflig für die Sozialgerichte. Sie müssen entscheiden, ob ein Arbeitsunfall vorlag und die Berufsgenossenschaft Verletztengeld und jahrzehntelang Rente bezahlen muß. Weil es um sehr viel Geld geht, werden
Prozesse oft bis in die letzte Instanz zum Kasseler
Bundessozialgericht getrieben. Ein dauernder Streitpunkt
ist zum Beispiel die Mittagspause, wie der Vorsitzende
des zuständigen Senats, BSG-Vizepräsident Professor
Otto Ernst Krasney, berichtet. Dabei hat das Gericht eigentlich klare Grundsätze aufgestellt: Der Weg zur Kantine oder zum Restaurant und zurück zum Arbeitsplatz gilt als versicherter Bereich, das Essen selbst ist Pivatangelegenheit und nicht unfallversichert. Die Grenze zwischen Weg und Restaurant ist also die Tür. Damit beginnt aber erst die Schwierigkeit, denn Einkaufscenter mit mehreren Restaurants und Geschäften haben ja zwei Türen die Außentür und die Tür des Restaurants selbst. Im Juli 1996 mußte das Gericht über einen Verkaufsleiter entscheiden, der kurz nach Betreten des Frankfurter Hessencenters auf einem Salatblatt ausgerutscht war und sich dauerhaft verletzt hatte. Ergebnis: Mit dem Durchschreiten der Außentür ist der Mann nicht mehr versichert. Welches Lokal innerhalb des Einkaufszentrums er aufsucht, gehört genauso zu seinem Privatbereich wie das Essen selbst keine Rente. Mehr Glück hatte dagegen eine Frau, die in der Mittagspause in einem relativ weit entfernten preiswerten Supermarkt Lebensmittel kaufen wollte und dabei über einen Pflasterstein gestolpert war. Die Berufsgenossenschaft mußte zahlen, weil es keine Verpflichtung gibt, zum nächstgelegenen Geschäft zu gehen, entschieden die Richter. Allerdings müssen die Lebensmittel auch wirklich für die Mittagspause bestimmt sein. Wer für sein Abendessen einkauft, läuft ohne den Schutz der Berufsgenossenschaft über die Straße. Unfälle während der Arbeitszeit im Büro oder in der Werkstatt sind versichert keine Frage. Doch was ist, wenn ein Vertreter auf Anweisung seines Arbeitgebers in der Privatwohnung einen Büroraum unterhält, diesen Raum während der Weihnachtsferien tapeziert und dabei verunglückt? Auch er bekommt Geld von der Berufsgenossenschaft, hat das BSG entschieden. Weil der Arbeitgeber den Büroraum vorgeschrieben hat, steht auch das Tapezieren im inneren Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeit und ist damit versichert. Der innere Zusammenhang mit der
versicherten Tätigkeit, also der eigentlichen
Arbeit, ist überhaupt das Zauberwort in Zweifelsfällen.
Wenn dieser Zusammenhang besteht, müssen Rente und
Verletztengeld fließen. Das kam beispielsweise der Witwe
eines Schichtarbeiters zugute. Der Mann wollte für
langweilige Nachtdienste im Leitstand einer
Granulieranlage eine Fernsehantenne montieren und
stürzte dabei zu Tode. Die Berufsgenossenschaft wollte
nicht zahlen, weil das Montieren von Antennen nicht die
Aufgabe des Mannes gewesen sei. Das Gericht hob dagegen
hervor, daß der Arbeitgeber das Fernsehschauen während
der Nachtschichten nicht nur gebilligt, sondern auch die
Gebühren übernommen habe, um das Betriebsklima positiv
zu beeinflussen. Unter diesen Umständen sei auch die
Montage versichert. Häufig beschäftigt auch König Fußball die Sozialrichter. Viele Betriebssportmannschaften legen nämlich einen Trainings- und Turniereifer wie Halbprofis an den Tag mit oft schlimmen Folgen für Bänder und Schienbeine. Im Rahmen des Betriebssportes unfallversichert ist aber nur ein Turnier pro Jahr alles andere fällt unter die Rubrik Privatvergnügen. Und auch die Witwe eines sportversessenen Missionars im Amazonasgebiet holte sich in Kassel eine Abfuhr. Der Mann war mit einer Gemeindegruppe in einem Boot zu einer Insel gefahren und wollte den 1,5 Kilometer langen Rückweg entgegen allen guten Ratschlägen unbedingt schwimmen, um seine Kondition zu verbessern. Er ertrank und hinterläßt seiner Frau keine Rente: Der Schwimmausflug hatte nichts mit den dienstlichen Pflichten zu tun. |
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