Die Ausbildung junger Juristen sorgt für Zündstoff: Der Staat soll nach Überzeugung von Kritikern sein Monopol aufgeben
Gehen Anwälte und Richter künftig getrennte Wege?
Manfred Kleinknecht, Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins, warnt: Gemeinsames Referendariat als wertvolles Gut nicht aufgeben


VON HARALD BAUMER

Wer in Deutschland als Volljurist arbeiten will, der muß einen langen Atem haben. Der Staat schreibt eine streng reglementierte, einheitliche Ausbildung und zwei Staatsexamina vor. Erst danach trennen sich die Wege zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Der eine wird Rechtsanwalt, der andere Richter oder Staatsanwalt. Ist das noch zeitgemäß? Oder wäre es nicht besser, die einzelnen Gruppen gezielt auf ihren späteren Beruf vorzubereiten?

Diese Frage ist so aktuell wie selten zuvor. Niemand zweifelt daran, daß bis zum ersten Staatsexamen eine gemeinsame Grundausbildung nötig ist, bei der es keine Extrawurst geben darf. Umstritten sind dagegen die beiden anschließenden Referendariatsjahre bis zum zweiten Staatsexamen.

Vertreter der Anwaltschaft, unter anderem Kammerpräsident Christian Bissel aus Erlangen, sagen: Nur ein Bruchteil der Absolventen (etwa zehn bis 15 Prozent) findet eine Stelle im richterlichen Dienst oder in der öffentlichen Verwaltung. Trotz dieser geringen Zahl werden aber nach wie vor alle Kandidaten im Referendariat so ausgebildet, als ob sie später als Richter arbeiten müßten.

Als Konsequenz fordern diese Experten die Aufgabe des sogenannten „Einheitsjuristen“. Künftig sollen schon nach dem ersten Examen die Weichen gestellt werden. Anwälte würden demnach auf eigenen Akademien von erfahrenen Kollegen auf spezielle Probleme ihres Berufsstandes vorbereitet – zum Beispiel darauf, wie man Schriftsätze verfaßt, mit Mandanten umgeht, eine Kanzlei führt und im Prozeß auftritt.

Die Justizminister der Bundesländer wollen im Juni über dieses Thema diskutieren, es gibt durchaus Sympathien für eine Reform. Nicht zuletzt des lieben Geldes wegen. Alleine in Bayern kostet die Referendarsausbildung für Tausende von Nachwuchsjuristen pro Jahr rund 150 Millionen Mark. Würde man nur noch die wenigen Leute schulen (und bezahlen), die man beim Staat später tatsächlich brauchen kann, wäre das deutlich billiger.

Aber auch die Gegner haben inzwischen Position bezogen. Manfred Kleinknecht aus Nürnberg, Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins, hält den Verzicht auf den Einheitsjuristen für bedenklich. Einer der großen Vorteile unseres Justizsystems bestehe darin, daß vom Anwalt bis zum Richter alle dieselbe Sprache sprechen. Jeder kenne die Probleme des anderen, bei Prozessen herrsche deshalb „Waffengleichheit“.

Kleinknecht hält es für falsch, das bisherige Referendariat als zu justizlastig zu bezeichnen. Es sei jetzt bereits möglich, einen großen Teil der Ausbildung in einer Anwaltskanzlei zu verbringen, Intensivkurse befaßten sich mit Themen wie der Vertragsgestaltung. Und ein Drittel der Examensklausuren beziehe sich auf Rechtsfragen aus der Sicht des Anwalts.

Aber auch praktische Probleme befürchtet der Vorsitzende des Richtervereins, falls sich die Wege der Referendare nach dem ersten Examen trennen. Seine Fragen: Woher kommen die vielen Ausbilder, die für die neu zu schaffende Anwaltsakademie benötigt werden? Wer bezahlt das alles? Wer sorgt dafür, daß das Ausbildungsniveau ungefähr gleich ist?

Der Hauptkritikpunkt von Manfred Kleinknecht: Das wahre Problem des Berufsstandes werde durch ein Splitting nicht gelöst. Und dieses Problem ist die Masse. 160 000 praktizierenden Juristen stehen momentan 135 000 Studenten und Referendare gegenüber, die in einigen Jahren eine Stelle suchen werden. Es droht eine Juristen-Arbeitslosigkeit ohnegleichen.

Die einzige Chance bestehe darin, den Zugang zu beschränken. Das kann nach Überzeugung Kleinknechts entweder durch einen Numerus clausus vor Beginn des Studiums, durch weit strengere Zwischenprüfungen oder durch eine Mischung aus beidem geschehen. So bleibe vielen das schreckliche Erlebnis erspart, nach einem langen Studium und zwei bestandenen Examina auf der Straße zu stehen.

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