"Der Mann hat
die Schuld"
Preisgekrönte Diplomarbeit an
Fachhochschule Nürnberg - Sozialpädagogin beschrieb
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz VON
KATRIN RIESTERER
Für ihre
Diplomarbeit wurden Nicole Küssing (links) und Christa
Stahl mit Preisen der Stadt Nürnberg ausgezeichnet.
Küssing befaßt sich in ihrem Teil mit sexueller
Belästigung am Arbeitsplatz und entwickelte ein
"Trainingsprogramm" für betroffene Frauen.
Foto: Harald Sippel
Der Blick von Rainer K. (Namen geändert) wandert
über die Beine der neuen Arbeitskollegin. Von den
Schuhen bis hinauf zu dem kurzen Rock der jungen Frau und
wieder hinunter. Ein anzügliches Grinsen huscht über
sein Gesicht. Dann wendet sich K. seinen Arbeitskollegen
zu.
Michaela T. kann die
Worte der tuschelnden und lachenden Männer nicht
verstehen. Als sie sich umdreht, fängt sie belustigte
und spöttische Blicke auf. Am nächsten Tag trägt sie
eine lange Hose. Den kurzen Rock und die hohen Schuhe
werden die Kollegen so schnell nicht mehr zu sehen
bekommen.
Peinlich berührt von diesem Vorfall fühlt sich nur
Michaela T. Nicht so Rainer K., er sieht sich in seinem
männlichen Selbstwertgefühl bestätigt. Sexuelle
Belästigung am Arbeitsplatz ist für ihn kein Thema.
Zwei Sozialpädagogik-Absolventinnen der
Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg jedoch haben
dieses Thema zu ihrem gemacht - in ihrer Diplomarbeit:
Nicole Küssing (29) und Christa Stahl (29) haben in
einem größeren Zusammenhang auch die "sexuelle
Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz" betrachtet.
Vor kurzem wurde diese Diplomarbeit mit Preisen der
Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Der Teil von Nicole
Küssing wird zudem mit dem Titel "Mach' mich nicht
an" als Buch erscheinen. Es versucht, verschiedene
Arten sexueller Belästigung am Arbeitsplatz aufzuzeigen
und bietet betroffenen Frauen Hilfestellungen an.
Unterschiedliche Formen
Erwerbstätige Frauen werden mit unterschiedlichen
Formen von Diskriminierung konfrontiert. Im täglichen
Kampf um Anerkennung, Macht, Arbeitsplätze,
Qualifizierungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen sind
sie es gewohnt, benachteiligt, ja diskriminiert zu
werden. Eine besonders entwürdigende Form der
Diskriminierung dabei ist die sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz.
Denn was Michaela T. erleben mußte, widerfährt
vielen Frauen täglich. Eine repräsentative Studie des
Bundesfamilienministeriums ergab, daß 93 Prozent aller
befragten Frauen bereits ein- oder mehrmals von
männlichen Arbeitskollegen sexuell belästigt wurden.
Beispiele sind obszöne Witze, Pfiffe, nackte Frauen auf
Plakaten, eindeutige sexuelle Angebote.
Was viele Männer verharmlosen, als Spaß oder Flirt
bezeichnen, nennt sich in der Realität sexuelle
Diskriminierung. Nur wenige Zeugen nehmen daran Anstoß,
sehen laut der Autorin keinen Anlaß, der Betroffenen zu
helfen, sie gegen sexuelle Grenz- und Machtverletzungen
zu verteidigen. Nicht einmal die Frauen untereinander
würden zueinander stehen, so Küssing.
"Selbst schuld"
Nicht selten tuschelt man hinter dem Rücken der
Belästigten: "Sie ist selbst schuld, warum benimmt
sie sich auch so aufreizend." Küssing spricht sich
in ihrer Arbeit klar gegen diese Mißstände aus:
"Wir leben in einer Welt, in der Männer noch immer
die Normen setzen, in der vorwiegend männliche
Eigenschaften zählen." Häufig würden auch Männer
in gehobenen Positionen ihre Macht mißbrauchen. Opfer
sexueller Attacken sind laut der Autorin vor allem
Auszubildende und Berufsanfängerinnen zwischen 20 und 30
Jahren.
Der Gesellschaft müsse endlich klar werden, daß
Handlungsbedarf besteht. Auch dürfe sexuelle
Diskriminierung kein individuelles Problem der Frauen
sein. Damit Frauen in Zukunft wehrhafter werden, entwarf
Küssing ein soziales Trainingsprogramm für
erwerbstätige Frauen ("stef"). Frauen müssen,
so die Autorin, Solidarität, mehr Selbstbewußtsein
entwickeln und lernen, sich gegenseitig zu unterstützen.
Nach dem Motto "gemeinsam sind wir stark"
sollen sie innerhalb eines zweitägigen
Trainingsprogramms mit Hilfe von Rollenspielen lernen,
sich zur Wehr zu setzen. Frauen lassen nach Meinung von
Küssing grundsätzlich zuviel zu: "Ich darf mich
wehren. Der Mann ist der Schuldige und nicht ich. Männer
müssen lernen, daß eine Frau nein meint, wenn sie nein
sagt. Nur wer sich gegen private Grenzüberschreitungen
wehrt, wird auf Dauer gewinnen können und sich stark
fühlen."
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