Viele Studenten büßen
für
die Vorurteile ihrer Eltern
Auf dem Gymnasium soll dem
Kind die tote Sprache erspart werden
Prüfungsordnungen für viele
Magister-Studiengänge verlangen aber den
Nachweis von Lateinkenntnissen VON KATRIN RIESTERER
Bernd F. fühlt sich überfordert: Er
ist bereits im 4. Semester und hat noch immer nicht alle
Scheine für die Zwischenprüfung in
Germanistik beisammen. Der große Stolperstein heißt
Latein. Ohne Nachweis von Lateinkenntnissen
wird Bernd sein Studium abbrechen müssen.
Und Bernd ist kein Einzelfall. Viele
andere Studenten, die wie er kein Latein im Gymnasium
hatten, scheitern an bayerischen Prüfungsordnungen.
Diese besagen, daß man bei der Anmeldung zu einer
Magisterarbeit Kenntnisse in zwei Fremdsprachen
nachweisen muß.
Was die Schulabgänger oft nicht
wissen: Bei vielen Magister-Fächern wie zum
Beispiel Romanistik, Germanistik, Anglistik, Geschichte,
Theologie oder Kunstgeschichte muß eine dieser
Fremdsprachen Latein sein. Sogar Juristen müssen bei der
Anmeldung zur Promotion das sogenannte Latinum vorlegen.
Opfer veralteter Vorschriften
Über Sinn und Unsinn dieser
Verordnungen wird viel gestritten. Die Studenten sehen
sich dabei meist als Opfer von veralteten Vorschriften.
Michaela K. zum Beispiel steht kurz vor dem Abschluß
ihres ersten Examens für das Gymnasiallehramt. Im
Gegensatz zu den Magisterstudenten muß sie nicht nur
Lateinkenntnisse, sondern das
Latinum vorweisen.
Der Unterschied: Für die
Lateinkenntnisse müssen Studierende zwei
aufeinanderfolgende Kurse zu je vier Wochenstunden
besuchen und diese mit einer Klausur abschließen. Damit
ist es beim Latinum nicht getan:
Lehramtstudenten müssen drei Semesterkurse besuchen. Im
Anschluß daran folgt eine Prüfung an einem staatlichen
Gymnasium. Diese darf man nur einmal wiederholen.
Wie Michaela wissen auch viele andere
Lehramtsstudenten nicht, wie sie den zusätzlichen
Lernaufwand bewältigen sollen. Das Studium verlängert
sich bei den meisten um zwei Semester, und das
alles nur wegen Latein, so die total frustrierte
Studentin. Einige Kommilitonen mußten ihr Studium
deshalb aufgeben.
"Unnützen Ballast
aufgebürdet"
Kein Wunder, so auch Bernd, wenn das
eigentliche Studium unter der Lateinbüffelei
leide: Die vom Kultusministerium sprechen immer von
Studienzeitverkürzung. Warum bekommen wir dann unnützen
Ballast aufgebürdet, der unser Studium unnötig
verlängert?
Von Latein als unnützem Ballast will
Sigrid Heldmann nicht sprechen. Im Hauptberuf
Studiendirektorin an einem Nürnberger Gymnasium, ist sie
seit fünf Jahren Lehrbeauftragte für Latein an der
Philosophischen Fakultät II. Der zusätzliche
Lernaufwand ist nach ihrer Meinung gut zu bewältigen.
Konsequent jeden Tag eine Stunde Latein, und der
Erfolg stellt sich ein, lautet ihr Rezept.
Der Fehler liegt ihrer Meinung nach bei
den Studenten. Diese kämen oft nur unregelmäßig zum
Unterricht, zudem seien sie meist schlecht vorbereitet
und unmotiviert. Von ungefähr 60 Anfängern geht schon
nach ein paar Wochen die Hälfte nicht mehr zum
Lateinkurs. Von den übrigen 30 schaffen
erfahrungsgemäß nur zwei Drittel die Klausur.
Für Heldmann ist Latein ein absolutes
Muß. Es stelle als Basissprache einen
breiten Grundwortschatz für moderne Fremdsprachen zur
Verfügung. Zudem transportiere es das Wissen um die
gemeinsamen kulturellen Grundlagen Europas. Latein sei
besonders geeignet, die Entwicklung des abstrakten
Denkvermögens zu fördern und es erleichtere den
Einstieg in Terminologie wissenschaftlichen Arbeitens.
Zu wenig Aufklärungsarbeit
Der Grundstein dazu müsse allerdings
schon am Gymnasium gelegt werden. Aufgerufen sind dazu
vor allem Lehrer und Eltern. Die Gymnasiallehrer müßten
die Eltern verstärkt auf die Bedeutung der lateinischen
Sprache hinweisen. Nach Ansicht von Heldmann wird
diesbezüglich zu wenig Aufklärungsarbeit betrieben.
Aber auch die Eltern kritisiert sie. Diese sähen Latein
nur als tote Sprache, auch die späteren Anforderungen an
der Universität zählten selten als Argu ment.
Auch der Studienberater für Theologie,
Hans Hoffmann, spricht sich für Kenntnisse der
lateinischen Sprache aus: Ein Theologiestudium ohne
fundiertes Lateinwissen ist nicht möglich. Auch er
kritisiert die mangelnde Aufklärung seitens der Lehrer
und die Vorurteile mancher Eltern: Viele folgen
einem gesellschaftlichen Trend, der allein von
Nutzen-Anwendungs-Überlegungen ausgeht. Angeblich
profitiere ein Schüler mehr von der französischen oder
italienischen als von der lateinischen Sprache.
Die Folgen davon bekommt man, so
Hoffmann, leider oft an der Universität zu spüren.
Manche Studierende beherrschen die Grammatik der
eigenen Muttersprache nur ungenügend, was das Erlernen
des Lateinischen erschwert. Schulischer Lateinunterricht
dient zweifelsfrei auch einer Durchdringung der eigenen
Muttersprache.
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