Sporthistorischer Vortrag auf
Sportwissenschaftlichem Hochschultag an der Uni Bayreuth
DDR-Leistungssport war
kapitalistische Insel
Individuelle Leistung und
Konkurrenzdenken galten nur hier Aufwand lag bei
500 Millionen Mark im Jahr Eine
kapitalistische Insel in der sozialistischen
Planwirtschaft war nach Ansicht des Potsdamer
Sporthistorikers Prof. Hans-Joachim Teichler der
Leistungssport in der ehemaligen DDR. Seine umfangreichen
Forschungen auf diesem Gebiet stellte Teichler vor kurzem
auf dem 13. Kongreß der Deutschen Vereinigung für
Sportwissenschaft (dvs) in Bayreuth vor.
Demnach beschäftigte sich das
Politbüro der DDR in bisher ungeahntem Ausmaß mit
sportlichen Themen. Vor allem die Praktiken des
DDR-Leistungssports seien keineswegs von unwissenden und
lediglich medaillengeblendeten Sportfunktionären
forciert worden, sondern von oberster Stelle abgesegnet
gewesen.
In einer Analyse entsprechender
Beschlüsse des Politbüros der SED kommt Teichler zu dem
Schluß, daß der DDR-Leistungssport streng nach
kapitalistischen Prinzipien organisiert war. Wo sonst
galten individuelles Leistungsverhalten, Konkurrenzdenken
und finanzielle Anreize? Nirgends sonst war ein
ähnlicher Statuserwerb, verbunden mit Reiseprivilegien,
möglich.
Teichler zufolge verdankte der
Leistungssport der DDR seinen Welterfolg einem
frühzeitig einsetzenden und kontinuierlich gesteigerten
Personal- und Mitteleinsatz des Staates: 35 000
Hauptamtliche waren im Dienst der Medaillenbilanz tätig.
Die Summe, die für den Leistungssport eingesetzt wurde,
kann nach Teichlers Worten auf etwa 500 Millionen Mark
pro Jahr beziffert werden und muß vermutlich
sogar noch oben korrigiert werden. Gleichzeitig wurden
alle anderen Investitionen der DDR stetig gekürzt.
Darüber hinaus habe der Leistungssport
der DDR seinen Erfolg einem permanenten Vorlauf zu
verdanken gehabt, dem der Westen stets hinterherhinkte:
Es gab bereits seit 1952 professionelle
Trainingsbedingungen durch Freistellung von der Arbeit.
Die Sportwissenschaft wurde weitgehend leistungssport-
und anwendungsorientiert aufgebaut. Die dadurch
ermöglichten Trainingspläne seien rigoros auch im
Kinder- und Jugendbereich durchgesetzt worden, zusammen
mit einem ständigen Auslese- und Förderprogramm.
In den Leistungssport hinein kam
man freiwillig, so Teichler, aber heraus
nicht ohne offizielle Entbindung vom Leistungsauftrag und
ohne finanzielle und berufliche Einbußen.
Der erfolgreiche Versuch, auf einem
begrenzten, aber dafür um so medienwirksameren
Teilbereich der Gesellschaft den Westen zu überflügeln,
unterlag einer strengen Geheimhaltung. Die
wissenschaftliche Begleitforschung zum Spitzensport sei
Geheimforschung mit einer Zeitschrift (Theorie und
Praxis des Leistungssports) gewesen, die als
vertrauliche Verschlußsache eingestuft war. Die
finanzielle Honorierung der Staatsamateure
durch das Büro zur Förderung des Sports sei
so geheim gewesen, daß sie durch den Geheimdienst
abgeschirmt, kontrolliert und zum Teil selbst
durchgeführt wurde.
Die Leistungssportbilanz des
Sportwunderlandes DDR zeigt laut Teichler
heute zwei Seiten einer Medaille: Auf der
einen Seite stehen 572 olympische Medaillen, davon 203 in
Gold, von denen sich viele, in Ost und West blenden
ließen. Die andere Seite: Der Deutsche Sportbund
beziffert den Neubau- und Sanierungsbedarf für die
Sportstätten in den neuen Bundesländern auf über 25
Milliarden Mark. Im Osten sind nur 10 Prozent der
Bevölkerung in Sportvereinen organisiert
gegenüber etwa 30 Prozent im Westen.
hlo/ubt
|