Frauen erleben Mißerfolge anders "Mitten ins Leben geworfen" fühlen sich Sybille Heintz und Susanne Staudinger. "Ins Leben" meint die Schicksale, die Probleme, die Zukunftsängste von Studentinnen, die suchend und fragend zu ihnen kommen. Die beiden Frauen sind nämlich für die Zentralstelle für Studienberatung der Uni Regensburg tätig. Ihre Erfahrungen eines zwanzigmonatigen Projektes "Frauenspezifische Studienberatung" haben sie jetzt zusammengefaßt. Denn nach Ablauf des Projektes sollen möglichst viele Abiturientinnen oder Studentinnen von den Erkenntnissen und Ergebnissen der beiden profitieren. Das Ziel des "Frauen-Zimmers", wie ihr Büro kurz genannt wurde, war nach den Worten der zwei Beraterinnen: "Grundlagen für eine Studienberatung zu erarbeiten, die speziell die Situation von Frauen und deren Entscheidungshintergründe berücksichtigt." Herausgekommen ist dabei ein vor kurzem erschienenes Buch mit dem Titel "Ein anderer Blick in die Universität" (CH Druckerei & Verlags GmbH, Regensburg, 1996, ISBN). Es versteht sich als ein "Lesebuch für Studentinnen und solche, die es werden wollen". Denn "Rechenschaftsberichte von Projekten" verschwinden nach den Erfahrungen der Autorinnen "häufig in Archivregalen". Ihr Werk dagegen soll Denkanstöße zum Lernen, Leben und Über-Leben an der Hochschule bieten. Die Erfahrungen der beiden Studienberaterinnen betreffen viele Bereiche des Lebens. Sie reichen von Anfragen von Abiturientinnen, die noch oft orientierungslos die Beratungsstelle aufsuchen, über sexuelle Themen bis hin zu verzweifelten Studentinnen, die mitten im Uni-Leben plötzlich keinen Sinn mehr in ihrem Studiengang sehen. Diese Fülle an Lebensfragen und die drängende Suche nach individuell richtigen Lösungen mache den besonderen Reiz ihrer Arbeit aus, meinen die Autorinnen. Sie finden aber immer wieder Parallelen in den Problemen der Hilfesuchenden. Frauen an der Universität fällt es oft schwer, mit den existierenden Strukturen zurechtzukommen, die auf ein bestimmtes Bild von Männlichkeit ausgerichtet sind. Mehr Lebens-Entscheidungen Ein Aspekt hierbei ist Sybille Heintz und Susanne Staudinger besonders deutlich geworden: "Die gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland bürden den Frauen auch heute noch die Konsequenz jener Fähigkeit auf, von der die ganze Gesellschaft profitiert und abhängig ist: ihre Fähigkeit, zu gebären." So ist es nicht verwunderlich, daß gerade Frauen zwischen 20 und 30 Jahren mehr Lebens-Entscheidungen treffen müssen als Männer. In der Beratungsstelle geht es daher nicht selten um Schwangerschafts- oder Studienabbruch bei Studentinnen. Und dies sind Entscheidungen, die das Leben massiv beeinflussen können. Aufgefallen ist den beiden Studienberaterinnen, daß bei Frauen Mißerfolge an der Universität von diesen selbst oft als persönliches Unvermögen gesehen werden und Studentinnen daher schneller an einen Fachwechsel oder sogar Studienabbruch denken als ihre männlichen Kollegen. Dem Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen, das der Universitätsalltag abverlangt, können Frauen oft schwer entsprechen. Besonders deutlich wird die scheinbare "Unfähigkeit" der Frauen bei technischen Studiengängen. Schon zu Schulzeiten wird den männlichen Gymnasiasten in Chemie, Physik oder Mathematik mehr zugetraut als ihren Mitschülerinnen. Daß nur eine Minderheit von Studentinnen in diese Männerdomäne eindringt, muß daher nicht verwundern. Die Erfahrungen eines Münchner TU-Professors in Paris zeigen, daß es auch anders geht. Dort waren über 30 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter seines Labors Frauen - mit und ohne Kinder. Das Interesse, Frauen gleichzeitig Familie und Beruf zu ermöglichen, sei in Frankreich auf allen Ebenen spürbar und sichtbar größer als hierzulande. Sybille Heintz und Susanne Staudinger hoffen, mit ihrer gesammelten Beraterinnen-Erfahrung einen anderen Blick in die Universität geöffnet zu haben. Sie hoffen aber auch, daß in Zukunft ein größeres gesellschaftliches Gleichgewicht entsteht. Die Frauen fordern sie auf, den Problemen des Uni-Alltags mutig zu begegnen. KRISTINA KAPPLER |
© Nürnberger Nachrichten 1996 |