Ein Student schildert einige
Eindrücke von einem Jahr Erasmus-Aufenthalt
an der italienischen Universität Pisa
Nie mehr klagen über
die
deutsche Gründlichkeit
Trotz mancher Probleme eine
wunderbare Erfahrung Anerkennung von Scheinen
sollte man sich vorher zusichern lassenVON CHRISTIAN BARTSCH
Das Zimmer in der Jugendherberge ist
dunkel, dreckig und die Dusche stinkt. Kein berauschender
Auftakt hier in Pisa, aber ein ausgezeichneter Ansporn,
so schnell wie möglich ein Zimmer zu finden, in dem sich
das ganze Erasmus-Studienjahr verbringen
läßt. La speranca ci porta avanti, sagt
eine alte Frau im Bus, die Hoffnung trägt uns
weiter. Ihre Rente beträgt nur wenig mehr als das
Doppelte des Erasmus-Stipendiums von 210 Mark
monatlich.
Die Hoffnung trügt nicht, bald ist ein
Zimmer gefunden, und auch viele neue Bekannte aus ganz
Europa: Nach den ersten Info-Veranstaltungen herrscht
eine hektische Euphorie, Leute kennenzulernen; Adressen
und Telefonnummern werden ausgetauscht wie wild.
Noch herrscht in den meisten
Gesprächen Englisch vor, doch die ehemaligen
Erasmus-Studenten aus Pisa sorgen dafür,
daß jeder auch Informationen und Hilfe in seiner Sprache
bekommt. Mitglieder des Coordinamento stehen
jeden Tag bereit, um bei Zimmersuche und
Verständigungsproblemen zu helfen und um dafür zu
sorgen, daß sich die Erasmi nicht verloren
fühlen: Die Betreuer wissen aus eigener Erfahrung, was
es heißt, plötzlich allein im Ausland zu sein.
Francesco, 22jähriger Deutschstudent,
verbrachte ein Jahr in Potsdam. Viele Kontakte mit
Deutschen habe er nicht gehabt, erzählt er, die seien
sehr zurückhaltend gewesen. Dafür lobt er die deutsche
Bürokratie das hat alles so toll
funktioniert und erntet bei den deutschen
Gaststudenten nur ein mildes Lächeln.
Kurze Zeit später schon schwören die
meisten davon, sich nie wieder über die deutsche
Verwaltung zu beklagen: Das Chaos zum Uni-Beginn ist
enorm, Vorlesungsverzeichnisse werden erst wenige Tage
vor Vorlesungsbeginn herausgegeben und sind auch
eher als Absichtserklärungen der Professoren zu
betrachten.
Die Vorlesungen sind für gewöhnlich
dreistündig, meist an drei verschiedenen Tagen. Da viele
Professoren gern schon am Mittwoch ins Wochenende
starten, kann man sich montags bis mittwochs von 10 bis
13 Uhr zwischen einem Dutzend interessanter Vorlesungen
zerreißen.
20 Prüfungen müssen die italienischen
Studenten im Schnitt ablegen, bevor sie mit der
tesi, der großen Abschlußarbeit ihre
laurea bekommen. Die Prüfungen sind meist
alle mündlich und dauern 30 Minuten, dafür sind je vier
bis sechs Bücher zu lernen, also zwischen
1000 und 3000 Seiten. Um in fünf Jahren fertig zu
werden, sind das mindestens fünf Prüfungen pro Jahr,
rund 10 000 Seiten Stoff. Da bleibt für genaues
Lesen nicht viel Zeit, geschweige denn für kritisches.
Also schreiben die Italiener um den
deutschen Gaststudenten herum mit, als gelte es das
Leben: denn von der Interpretation des Dozenten nicht
allzusehr abzuweichen, ist in den Prüfungen von großem
Vorteil weswegen ganz Gewiefte ein Diktiergerät
mitlaufen lassen und sich mit dem Verkauf der Abschriften
etwas dazuverdienen.
Ein paar Tips für künftige
Erasmi, die sicher nicht nur für Italien
gelten: So früh wie möglich über das Land und die
Stadt informieren. Wenn möglich Kontakt mit den
Austauschstudenten der eigenen Uni vor Ort aufnehmen oder
auch Gaststudenten des Zielortes befragen.
So viel wie möglich der Landessprache
zu Hause büffeln; erst mal dort, hilft jedes Wort, das
man nicht nachschlagen muß. Möglichst eine Wohnung
zusammen mit einheimischen Studenten suchen: nirgends
lernt man Land und Sprache so schnell kennen wie in der
eigenen Küche.
Unbedingt ein Jahr bleiben. Alle, die
das Sommersemester zu Hause nicht verlieren
wollten, haben es bereut: denn am schönsten wird es am
Ende, wenn man die Sprache kann und weiß, wo es lang
geht. Ganz wichtig: Wer sich zu Hause Prüfungen
anerkennen lassen will, sollte das auf jeden Fall vor der
Abreise mit den betreffenden Professoren abklären.
Eine wunderbare Erfahrung ist der
Auslandsaufenthalt allemal. Man lernt fast so viele Leute
kennen, wie im ganzen Studium. Auf diese Weise erfährt
man nicht nur viel über Italien, sondern auch über die
englischen Dialekte, die dänische Universität oder die
Weihnachtstraditionen auf den Kanaren. Und wenn nach dem
Auslandsjahr noch Geld da ist, kann man eine Rundreise
durch Europa machen: neue Freunde und Einladungen hat man
genug.
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