Zwischen
Motivation und Illusion Irgendwo zwischen konkreter
Motivation und manchmal ebenso großen Illusionen bewegen
sich Studienanfänger, die frisch an die Hochschule
kommen. Einige von ihnen in Erlangen offenbarten dem
Hochschulreport ihre Erwartungen und Ziele. (Unser Bild
stammt aus der Bibliothek der Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Fakultät). Foto: Harald Sippel
Um Bernd geht es hier nicht, der nennt sich selber einen "alten Hasen". Bernd studiert im 11. Semester Elektrotechnik, ist mitten im Diplom-Prüfungsstreß, wird wohl bald arbeitslos sein, und hat im Laufe seines Studiums "unendlich an Erfahrung gewonnen". Um so lässiger wird sein Grinsen, wenn er alljährlich zu Beginn des Wintersemesters die vielen Studienanfänger sieht, die sich vor den Hörsälen und Anschlagbrettern drängen. "Die haben noch Illusionen", sagt er dann gern, "und Motivation!" Stimmt - nicht ganz: Motiviert sind sie wohl alle. Aber die meisten sehen ohne Illusionen in ihre studentische Zukunft. Dies zumindest ergab eine keineswegs repräsentative Umfrage unter Studienanfängern der Uni Erlangen-Nürnberg. "Mich hat Geschichte schon immer am meisten interessiert, und so ist eigentlich kein anderes Studienfach in Frage gekommen", erklärt zum Beispiel Bernd H. (Geschichte, Deutsch, Sozialkunde) zu seinem Motiv. Und Jean-Christophe H. (Jura) will "möglichst illussionsfrei in das Studium hineingehen. Ich rechne mit der Möglichkeit, daß es mich abstoßen kann. Viele springen nach zwei Semestern ab, weil sie sich nicht vorher informiert haben". Ihre "Leichtigkeit" können wahrscheinlich nur wenige Erstsemester verlieren, denn leicht machen sie es sich kaum. Der rote Faden in der Fächervielfalt: Die eigenen Interessen. "Endlich mal das zu machen, was einem Spaß macht, auf daß die spätere Arbeit Hobby werden kann", das wünscht sich etwa Miriam B. (Mathematik, Wirtschaft). Bedenken zählen nicht Bedenken wegen schlechter Berufsaussichten werden da mehr oder minder beiseite geschoben. Besonders angehende Historiker erweisen sich als Meister in der Kunst, den Blick von der fernen beruflichen Zukunft zu wenden. "Mir soll das Studium selbst etwas bringen", sagt Oliver U. (Geschichte). "Die Berufsaussichten habe ich nicht so vorangestellt", gibt Bernhard M. (Geschichte, Sozialkunde, Deutsch) zu. "Studis" wie ihn treibt die Sorge um den Beruf wesentlich weniger um als Kommilitonen in anderen Fakultäten - etwa bei den Juristen. Imma R. sagt: "Weil es so viele Jurastudenten gibt und weil die Berufschancen so schlecht sind, muß man sich später von der Masse unterscheiden. Um einen Job zu bekommen, muß man einen speziellen Weg suchen." Studium im Ausland, gar keine Frage, und ein ausländischer Studienabschluß zusätzlich zum Examen. An solches denken die befragten Historiker kaum. Ellenbogentechnik und Konkurrenzdenken? Nein, dagegen wehren sich alle, quer durch die Fakultäten. "Das ist eh' nur eine Charaktereigenschaft", meint Charlotte M. (Geschichte, Deutsch, Sozialkunde). Natürlich gibt es eine gewisse Konkurrenz, aber: "Ich glaube, an der Uni ist das eher ein bißchen besser: Da ist der große Leistungsdruck nicht so da. Das kommt erst später, wenn es um den Beruf geht", hofft Oliver. Ganz anders hört sich das Thema bei einigen Juristen an: Viele der Befragten haben vor, sich in studentischen Organisationen wie der European Law Students Association (Elsa) zu betätigen - aber immer nur, wenn auch für sie etwas abfällt: Auslandskontakte, Tips für das Examen, Prüfungsaufgaben. Ganz ähnlich die befragten Mathematiker. Wohin soll das Ganze führen? Auch hier fallen die Historiker aus dem Rahmen. Nur selten klingt bei ihnen durch, das Studium sei eine Sprosse auf der Karriereleiter. Im Gegensatz dazu gibt eine ganze Reihe künftiger Juristen zu: "Mein Traum ist die Karriere, viel Geld scheffeln. Das Studium ist eigentlich nur ein schönes Mittel zum Zweck", meint Imma grinsend. Und Irmgard W. (Mathematik, Sport) sagt: "Ich möchte die Klausuren so schaffen, daß ich das Studium hinter mich bringe. Da müssen keine Einser oder Zweier her", meint sie, "ich will Lehrerin werden, da ist es nicht so wichtig, super Noten zu haben, sondern, daß der Beruf Spaß macht." Die meisten haben die Gewißheit gemeinsam, das Richtige gewählt zu haben. Und auch wenn sie bei einer Studien- oder Berufsberatung waren, so erklären sie übereinstimmend, das sei nur "chaotisch", "eher schlecht" und bringe nichts. Dazu Dana F. (Jura): "Ich glaube, das ist eher eine psychologische Beruhigungsmaßnahme. Die kennen ja die Leute nicht. Bei der Studienfachwelt ist man ganz alleine mit der Verantwortung, die man trägt." Beklemmung ist da Natürlich haben sie alle ein "bißchen Angst": "Ich lasse es erstmal auf mich zukommen", das hört man von jedem. Und Oliver gibt zu: "Das ist alles ungewohnt und anonym, du weißt ja kaum, wo du hin mußt. Ein bißchen Beklemmung ist schon da." Eine ganze Reihe der Anfänger sind keine Nestflüchter, sondern wohnen noch zu Hause und nehmen es auf sich, täglich zur Uni zu pendeln - aus finanziellen Gründen, weil die Freundin oder der Freund daheim wohnen oder einfach aus Bequemlichkeit: "Ich plane nicht langfristig genug. Da kam der Einschreibungstermin, und da hat man halt das Nächstliegende genommen", sagt Oliver. Viele von ihnen wollen freilich in ein oder zwei Jahren ausziehen: "Erstmal in Erlangen anfangen, man kann ja immer noch wechseln", meint Charlotte. Und sie werden es wohl auch tun, denn die Zahl der Nesthocker ist, betrachtet man die gesamte Studierendenschaft, wesentlich niedriger. Das Studentenwerk geht davon aus, daß etwa 26 Prozent der Erlanger und Nürnberger Studenten bei den Eltern wohnen. Noch eines haben alle gemeinsam: Sie hoffen auf eine "schöne Studentenzeit" . . . Bernd grinst müde. "Mit viel Spaß . . . Bernd gähnt. "Wenn ich jetzt nicht studieren würde, würde ich es ewig bereuen", meint Susanne R. (Jura). Und da stimmt ihr dann auch Bernd mit der unendlichen Erfahrung von elf Semestern zu. |
© Nürnberger Nachrichten 1996 |