Könner seines Faches Das schmale Sandsteingebäude mit den Butzenscheiben hat eine lange Geschichte. Seit mehr als 450 Jahren werden im Essigbrätlein hungrige und durstige Gäste bewirtet. Im Industriezeitalter diente die Wirtschaft den Genossen der Arbeiterbewegung als Versammlungslokal. 1869 wurde hier der internationale Metallarbeiterverband aus der Taufe gehoben. 120 Jahre später begann für das Speisehaus eine neue Epoche ganz anderer Art: Seit Andree Köthe 1989 das Lokal übernommen hat, avancierte es zu einer der besten Adressen in der Republik. Der Mann ist 32 Jahre alt und ein seltener Könner seines Fachs. Der Restaurant-Führer Gault Millau hatte den bescheidenen Küchenmeister bereits 1994 zum Aufsteiger des Jahres ernannt. Jetzt ist er wieder einmal ausgezeichnet worden: Deutschlands führende Gourmet-Zeitschrift Der Feinschmecker stellt ihn in der aktuellen Mai-Nummer als Koch des Monats vor. Wer das Essigbrätlein besucht, erlebt eine (kulinarische) Überraschung nach der anderen. Im altdeutschen Ambiente mit dicken Deckenbalken und dunkler Holzvertäfelung herrscht Aufbruchstimmung. Andree Köthe ist ständig auf der Suche nach neuen Kreationen. Bei ihm laufen die Produkte zur Höchstform auf, entfalten ihre Eigenart in der Begegnung mit frischen Kräutern und Gewürzen. Längst bevor der Kochtrend in Richtung Asien zeigte, experimentierte Köthe mit exotischen Ingredienzien. Zur Zeit spielen Ingwer, Galgant, Koriander oder Kaffirlimette manche Hauptrolle. Das Sechs-Gänge-Menü am Abend (für 130 Mark) beginnt erst nach einer Reihe von Aufmerksamkeiten aus der Küche. Bei unserem jüngsten Besuch folgten einem Kalbstatar-Taler Crudité (rohes Gemüse) mit gekräutertem Quark und gebackener Kalmar mit Mango-Melonen-Salat ein besonderer Gaumenkitzel. So eingestimmt, setzt die Küche an zum Höhenflug: dem Stubenküken mit Löwenzahn und chinesischen Champignons stehen feinste Jakobsmuscheln, gefolgt von Dorade mit Croutons in nichts nach. Als nächstes Gericht servieren die unkomplizierten Mitarbeiter(innen) im Service ein perfektes Lammcarée mit Bohnen. Oft sind es die Kleinigkeiten, die die Sinne reizen. Dem Fleischgang geben beispielsweise kurz frittierte Petersilien- und Salbeiblätter eine außergewöhnliche Note. Der anschließende Schafskäse wird mit filigranen Kartoffelnetzen umhüllt. Schon nach dem Cassia-Zimteis mit Rhabarberstreifen bleibt nur noch eines: ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit. Zum Espresso sorgen hausgemachte Pralinés mit frischen Früchten auf einem Schokoladenboden für das i-Tüpfelchen. Im Essigbrätlein steht eine Auswahl von rund 150 Weinen zur Verfügung. Provenienzen aus Südfrankreich, zunehmend auch aus Kalifornien bestimmen die Karte. Fast die Hälfte wechselt von Jahr zu Jahr. Wegen einiger Raritäten kommen manche Gäste sogar eigens aus Hamburg. Wer die Abwechslung liebt und neugierig ist, ist mit der Wahl eines viergängigen Wein-Menüs (zwischen 38 und 45 Mark) bestens bedient, das der Patron seinen Gästen empfiehlt. So kamen wir zum Beispiel in den Genuß eines 94er Orangenmuskatellers von Andrew Quady aus Kalifornien, der zum Dessert gereicht wurde. Der Gast fühlt sich im Essigbrätlein rundum verwöhnt, beispielsweise auch bei einem leichten Mittagsmenü (zwischen 68 und 78 Mark). Daß die hohe Qualität ihren Preis hat, mag niemanden verwundern. Die ihm gegenüberstehende Leistung hält jedoch die Waage. Show ist Andree Köthe fremd. Ihm geht es um ehrliche, handwerkliche
Arbeit und um Perfektion. Vor kurzem hat das
Managermagazin Capital in einem Vergleich der
wichtigsten Nachschlagewerke die 100 besten Restaurants
Deutschlands ermittelt. Als einziges Nürnberger Lokal
ist Andree Köthes Essigbrätlein vertreten.
SIEGFRIED ZELNHEFER |
Hat's geschmeckt? E-Mail an uns |
© Nürnberger Nachrichten |