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Überraschung im Wirtshaus Nach 20 Uhr ist an schönen Tagen im Biergarten schier kein Platz zu bekommen. Aus allen Richtungen strömen die Gäste auf den grün umwucherten Vorplatz des Wirtshauses mitten im Wohngebiet. Man kommt mit dem Fahrrad, viele sind zu Fuß in ihr Stammlokal geschlendert. Warum in die Ferne schweifen, wenn zwei Blocks weiter alles zu haben ist, was Leib und Seele zusammenhält? Die kleine Oase im rot-grünen Biotop der Nordstadt hat Tradition. Früher beherrschten vornehmlich Studenten die Frankenstube. Schnell war das Attribut zur Hand: Szenelokal. Doch was heißt das schon im Zeichen der Postmoderne, wo alles möglich ist? Nichts ist beständiger als der Wandel. Heute kommen die kämpferischen Studiosi von einst immer noch in das Wirtshaus mit den blanken Holztischen, auch wenn sie inzwischen ein wenig bürgerlich geworden sind. Dazu gesellen sich Schüler, Krankenschwestern, Künstler, Lehrer, Stadträte und Rechtsanwälte, Anzugtypen und Latzhosenträger. An einem Tisch wird gekartelt, daß es kracht, nebendran gerade in hitziger Diskussion ein bißchen die Welt verändert. Es geht ungezwungen zu, die Standesgrenzen spielen im Kommunikationszentrum Wirtshaus keine Rolle. Hier bist du Gast, hier darfst du sein. Eine schöne Überraschung nach der anderen stellt für Erstbesucher der Frankenstube die Küche dar. Denn die schlicht-nüchterne Ausstattung des Lokals läßt nicht auf den ersten Blick auf ein so wohlschmeckendes und reichhaltiges Speisenangebot schließen. Mehr sein als scheinen, heißt hier die Devise. Ach, wär's nur überall so. Also, ein paar Exempel. Hinter dem Schweinebraten mit Kloß und Salat (15,80 Mark) verbirgt sich eine Delikatesse. Der heimische Klassiker entfaltet neue Genüsse, nicht zuletzt, weil das Fleisch aus Bioland- und Demeteraufzucht stammt. Man schmeckt den Unterschied. Oder auch beim Rinderschmorbraten in Rotweinsoße (17,80 Mark). Besser geht's kaum. Raffiniert fanden wir das Kaßler in Blätterteig mit Pilzfüllung und einem mit Kräutern verfeinerten Kartoffelsalat (13,80 Mark). Von Anfang an wurde in der Frankenstube vegetarischen Gerichten ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Heute füllen sie die halbe Speisekarte. Und auch hier stimmt alles. Egal ob man Semmelknödel mit Pilzragout (köstlich!) und Salat (12,80 Mark) oder den Dauerbrenner Lasagne mit Mangold, Blattspinat und Salat (12,80 Mark) bestellt man ist zufrieden. Seit sechs Jahren hält Ursula Meister
den Laden zusammen. Eigentlich, so wissen treue Kunden,
müßte sie schon längst die Preise erhöhen, weil sie
ihre Gerichte unter Wert verkauft. Doch mehr Geld zu
verlangen, widerstrebt der Wirtin, die mit ihrem Angebot
heuer erstmals auch am Altstadtfest vertreten ist. Denn
dann würde sie wohl auch nicht mehr ein so buntes
Publikum wie bisher bedienen können. Und daß jeder sich
als Gast in der Frankenstube wohl fühlen
kann, ist Ursula Meister wichtig. Ein nobler Zug.
SIEGFRIED ZELNHEFER |
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© Nürnberger Nachrichten |