Feuer aus der fernen Puszta

Der "Eiserne Vorhang", der über 40 Jahre lang Europa gespalten hatte, ist gefallen, die Nachbarländer Polen, Tschechien und Ungarn drängen mit Macht in die europäische Gemeinschaft, und doch spielen sie - kulinarisch gesehen - bei uns bisher nur eine untergeordnete Rolle. Allenthalben finden sich Döner-Buden, Pizza- und Pasta-Küchen und auch südamerikanische Steakhäuser.

Wer dagegen seinen Gaumen in die Puszta entführen und mit einem deftigen Gulasch reizen will, darf sich in Nürnberg nicht auf Zufallsfunde verlassen, sondern muß schon etwas gezielter suchen. Eine der wenigen Adressen, wo der Liebhaber oder die Liebhaberin feuriger Kost aus Donaugefilden fündig werden, ist die von Ritter Georg ("Gasthaus Georgi Ritter") in der Südstadt.

Gabor und Csilla Gazsy haben sich alle Mühe gegeben, in der typischen Nürnberger Eckwirtschaft einen Hauch von Atmosphäre aus ihrer Heimat zu verbreiten. Bestickte Tischdecken, Serien von bunten Tellern mit Volkskunstdekor, Fotos und Trauben von getrockneten Paprikaschoten, zum Teil bemalten Kürbissen. Mais und Knoblauch, die von der Decke baumeln, setzen in dem eher biederen Ambiente landestypische Akzente. Gemütliche Ecken und Winkel sucht der Gast vergeblich.

So ist es wohl vorwiegend die vielseitige Speisekarte, die Kundschaft aus der gesamten Stadt und darüber hinaus anlockt. Denn das Angebot umfaßt tatsächlich außergewöhnliche Gerichte jenseits des gängigen Kanons von Ochsenschwanzsuppe, Braten mit Kloß und Eis mit Früchten, aber auch fernab der Nouvelle cuisine. Das beginnt zum Einstieg etwa mit dem "Armen Ritter Steak" (in einem Kräuter-Ei-Mantel gebackene Brotscheiben auf Salat) oder dem fleischgefüllten Hefeteig "Taska" und reicht über Saftiges aus der Pfanne wie "Debreczinerflecken" vom Schwein bis zu einer ansehnlichen Reihe von vegetarischen Kreationen wie Krautnockerl, Austernpilzschnitzel oder dem "Grenadiermarsch", einem ungarischen Kartoffel-Nudelmix mit Salat.

Strudel und Palatschinken aller Art, mal herzhaft, mal süß, allerdings zum Teil aus der Mikrowelle, ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm der Küche. Mit üppiger Champignon- und Pfifferlingfüllung samt Preiselbeeren schwimmt der "Pilzstrudel" zum Beispiel mit seinem Blätterteig in einer herben Rotweinsauce. Und die "Winzerroulade" kommt mit hausgemachtem Sauerkraut, Speck und Käse daher, dazu mit einer mehr als sättigenden Portion Kartoffelpüree und natürlich ordentlich viel Paprikatunke.

Sauerkirsch- oder Topfenstrudel beschließen den Reigen, sofern der Gast nicht den flambierten Pfannkuchen mit der köstlichen Rum-Nußfüllung und reichlich Schokolade den Vorzug gibt. Zur Verdauung empfiehlt der Wirt seine gut gereiften, "garantiert koscheren" Schnäpse, den Sliwowitz oder auch den Aprikosengeist.

"Sie sind einfach die besten", meint er und weist darauf hin, daß das Verhältnis zu dem kulinarischen Erbe jüdischer Tradition in Ungarn viel unverkrampfter sei als hierzulande. Natürlich führt er ebenso den berühmten Trokajer und Rebensäfte wie "Grauer Mönch" oder "Erlauer Stierblut", daneben wiederum koschere Weine, ebenso trockene wie vollmundige Tropfen.

Als damals 17jähriger hatte sich Gabor Gazsy während des Aufstands seiner Landsleute gegen die Sowjetmacht 1956 mit einem Freund in den Westen abgesetzt. Zunächst in Norddeutschland "gelandet", gehörte er wenig später zu den ersten Schülern des ungarischen Gymnasiums in Kastl (Oberpfalz). Nach Lehr- und Angestelltenjahren, Pächtererfahrungen in Schoppershof und einer unfallbedingten Zwangspause übernahm er vor nunmehr elf Jahren den "Georgi Ritter".

Den ganzen Betrieb muß er mit seiner Frau allein bewältigen. Außer an den Abenden auch mittags zu öffnen, schaffen die beiden nur am Sonntag. "Ich könnte meine Schwester dazuholen", sagt der Wirt, "dann könnte ich länger aufmachen, bräuchte aber eine Wohnung für sie, und das lohnt sich nicht." Noch mehr bedauert er freilich, daß er seinen Gästen keine Terrasse bieten kann. So muß er auch in schwierigeren Zeiten auf die Überzeugungskraft seines herzhaften Schmorfleisches ("Hetvezer Trokany"), des "Ovary-Steaks" und der Georgi-Ritterplatte setzen. Und der Südstadt wollen die Wirtsleute keinesfalls den Rücken kehren.

WOLFGANG HEILIG-ACHNECK

Gasthaus Georgi Ritter, Hummelsteiner Weg 88, Tel. 45 34 08; 65 Plätze, moderate Preise, geöffnet von Dienstag bis Samstag von 17 bis 24 Uhr, sonntags von 11.30 bis 22 Uhr (warme Küche jeweils bis eine Stunde vor Schließung).

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