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Begehrte Sülze aus Erb-Tellern Wer Christl Rezak so reden hört, fragt - sofern er zu Wort kommt - irgendwann einmal neugierig, wieviel Leute in Fürth eigentlich nicht im "Stadtwappen" essen. Liebhaber fränkischer Kost, vorzugsweise in Riesenportionen (halbe für Senioren), finden sich in dem alteingesessenen Gasthaus, das Generationen schon als Stammlokal gedient hat und noch dient, immer in interessanter Gesellschaft. Kein Wunder ist beispielsweise, daß Stadtverwaltung und Justiz hier ihr leibliches Wohl suchen und finden, immerhin schon seit Jahrzehnten; schließlich liegt das "Stadtwappen" ziemlich genau in der Mitte zwischen Rathaus und Amtsgericht. Banker der verschiedensten Kreditinstitute stärken sich von ihren aufreibenden Geldgeschäften mit Roulade und Rumpsteak, der Manager eines Einkaufszentrums kalkuliert bei Krustenbraten seine nächste Publikumsattraktion durch, auch für die Parteien jeglicher Couleur ist die unscheinbare Gaststätte in einem noch unscheinbareren Winkel Fürths seit ewigen Zeiten liebgewonnener Treffpunkt. Aber noch einmal zurück zum Gericht. Dort sitzen manchmal Delinquenten in einem sogenannten Haftraum vorübergehend ein, bevor sie vor ihren Richter treten. Ihnen steht natürlich auch eine Mittagspause und ein Essen zu. Und das holt dann ein Wachtmeister im altbewährten Henkelmann. Was ist denn nun eigentlich dran am "Stadtwappen", was zieht uns auch nach Jahren wieder in die Bäumenstraße, was macht uns in gewissen Abständen so richtig Appetit auf das Essen, das dort frisch und mit selbstgemachten Beilagen auf den Tisch kommt? Eine Dame am Nebentisch gibt ungefragt Antwort: "Da gibt's halt was G'scheits", sagt sie zufrieden seufzend und blickt zurück auf mehrere Wochen in einem niederbayerischen Badeort, wo im Nobelhotel ein Gourmet-Menü dem anderen gefolgt war. Ebenso zufrieden, aber noch erwartungsvoll seufzt sie angesichts des gebackenen Karpfens, der sich vor ihr auf dem Teller wölbt. Die Karpfen aus der Pfanne gehen bei den Rezaks - Ehemann Gerhard ist der Koch, der in der nagelneuen Küche waltet - weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Blau gibt's den Franken-Fisch nur Mittwoch, Freitag und Samstag abend. Bei dieser Gelegenheit: Im "Stadtwappen" gelten ein paar Grundregeln, die Stammgäste längst im Schlaf kennen. Zum Beispiel: An den Wochentagen stehen auf der Tageskarte zwei Menüs, will heißen, Suppe und Hauptgericht; nur donnerstags, wohlgemerkt, kommt dazu noch ein Nachtisch, im Winter oft ein Pudding oder gekochtes Obst. Das zwingt man gerade noch, wenn man vorher eine geröstete Grießsuppe (wer kennt die überhaupt noch?) und eine gestandene Portion Saure Lunge mit Semmelkloß und Salat für 9,80 Mark verdrückt hat. Der Christl Rezak liegt das bodenständige Bewirten im Blut. Das "Stadtwappen" führen (und besitzen) sie und ihr Mann heuer im fünften Jahr, die 23 Jahre vorher, die die gebürtige und noch heute unverkennbare Unterfränkin in Fürth verbracht hat, stand sie in einem anderen "alten" Fürther Gasthaus hinter der Theke. Auch wenn ihr Arbeitstag um 6.45 Uhr - meist mit dem Schälen von eimerweise Kartoffeln für einen köstlich-gelbglänzenden Salat - beginnt, verliert sie in den folgenden Stunden nie ihre gute Laune. Im Gegenteil: Die steigt offensichtlich noch, wenn sie sieht, wie ihre Gäste genußvoll die Schäufele (15 Mark), Sauerbraten (14,50 Mark) oder Wiener Schnitzel (16,50 Mark) angreifen, dann irgendwann aufgeben und dankbar nach dem von den fünf Bedienungen stets bereitgehaltenen Pergamentpapier nebst Plastiktüte als Fettschutz greifen; der Rest ist Brotzeit und der Papierverbrauch ist enorm. Nicht geringer ist der Bedarf an Suppentellern im Sommer. Ein Rätsel? Keineswegs. Darin wird die begehrte Sülze abgefüllt, die auch "außer Haus" geht. Nur leider kehren die leeren Behältnisse selten zurück. Dieser Engpaß ist in der Nachbarschaft bekannt; auf diese Weise wird Christl Rezak ohne Testament zur Erbin, weil Sülzenfreunde ihr aus dem Nachlaß der Oma ein paar Suppenteller abtreten. SUSANNE THEML Gaststätte "Stadtwappen", Bäumenstraße 4, Fürth; Telefon 77 11 15; 180 Plätze; Dienstag Ruhetag; warme Küche von 11 bis 14 und 16.30 bis 21 Uhr |
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© Nürnberger Nachrichten 1997 |