Eine Kneipe mit Feinkost

Wer wünscht sie sich nicht, die Kneipe an der Ecke, zwei, drei Gehminuten von zuhause entfernt, wo der Wirt unaufgefordert das Seidl Bier oder den Hausschoppen bringt und extra für dich einen Teller Sülze aufgehoben hat. Die Stammkneipe zum Wohlsein nach Büro oder Tagesschau, vertraut und wie gewachsen.

Aber solche urbanen Refugien mit Zapfhahn scheinen auszusterben wie die Sülze. Sie heißen dann Bistro oder Brasserie, strahlen postmoderne Ungemütlichkeit aus, servieren illustrierte Salatteller, Baguettes und Crêpes und sind mal in, mal out. Den Gast, gewöhnt an die Wechselbäder der Gastronomie, kann nichts mehr verblüffen. Oder doch?

Die Kneipe an der Ecke Schweppermannstraße heißt „Brasserie Trinacria“ und wirkt überraschend ungestylt. Rein äußerlich eine einfache Kneipe, die sich das Flair nachbarlichen Einvernehmens bewahrt hat. Ein kleiner Raum, ein Tresen, nette Leute. Das Ambiente erinnert an studentische Wohngemeinschaften - originell zusammengewürfeltes Mobilar mit Sitzbänken aus einem Bus; und viele Bilder, die sich bei nähere Betrachtung als Ausstellung entpuppen.

Wer hier hereinschneit, muß nicht fremdeln. Der Umgangston kommt locker vom Hocker. Wir erwarten eine Kleinigkeit zum Essen und blättern erstaunt in einer ausgewachsenen Speisekarte: Cucina siciliana. Da gibt es hausgemachte Antipasti sowie Nudel-, Fisch- und Fleischgerichte, die noch nicht zum üblichen Standard gehören. Die Spezialität Stockfisch ist leider aus. Doch das Angebot mit regionalen Speisen hält sein Versprechen. Vorneweg probieren wir leckere Bruschetta, danach Schwertfisch in Kräutermarinade und Schweinelendchen alla pizzaiola – und sind begeistert. Das schmeckt ursprünglich unverkünstelt. Der Mann mit dem Kochlöffel muß ein ambitionierter Könnner sein.

Er ist jung und fröhlich, kommt aus Messina und sein Name klingt wie von Verdi erfunden, Candeloro Grillo. Gelernt hat er in Nürnbergs besten Restaurants, bevor er vor einem halben Jahr in der Kneipe anklopfte. Besitzer Thomas Weigle, der seine Brasserie gerade auf dem Baguettes-Gleis führte, sah die Chance und stellte flugs die Weiche um. Und nicht nur er fährt gut auf der süditalienischen Schiene, auch die Kundschaft.

Die Gäste dürfen sich weiterhin ungeniert wohlfühlen. Sie bekommen ein feines, preiswertes Essen – auch rein vegetarische Gerichte – und müssen sich nicht vernehm verrenken oder sich eine geschmäcklerische Ideologie um den Mund schmieren lassen. Wer keinen Hunger hat, kann in Ruhe sein Bier trinken, seine Seminararbeit bereden und sich Anmerkungen aufs Papiertischtuch machen. Nun bleibt nur zu hoffen, daß Weigle keinen Innenarchitekten bemüht und seine Eckkneipe nicht zum Gourmettempelchen umfunktioniert.

KERSTIN MÖLLER

„Brasserie Trinacria“, Nürnberg, Schweppermannstraße 1, Telefon: 0911 / 357992; 35 Plätze (dazu 20 Außenplätze auf dem Gehsteig); geöffnet täglich außer sonntags von 18 bis 23 Uhr (warme Küche), Sperrstunden am Wochenende 2 Uhr; preiswerte Gerichte von 12 bis 18 Mark. Platzreservierung (Freitag/Samstag) empfehlenswert.

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© Nürnberger Nachrichten 1997