Zurück zum Inhalt Medien und GesellschaftGibt es "Erscheinungen" von Verstorbenen?Mystische Signale aus dem JenseitsEin Bild, das wohl jeder kennt: der "tanzende Tisch", umrundet von einer Handvoll seance-williger Menschen, die hochkonzentriert - Kleinfingerspitze an Kleinfingerspitze - auf die Zeichen Verstorbener warten. Und mitunter setzt sich dann der Tisch tatsächlich in Bewegung, allerdings weniger durch den Anstoß überirdischer Kräfte als vielmehr durch die unbemerkten Muskelbewegungen der Teilnehmer. Im 19. Jahrhundert fanden diese Sitzungen fast in jeder bürgerlichen Stube statt, doch bisweilen gibt es sie auch noch heute, bieten "Spezialisten für das Abrufen Verstorbener" in einschlägigen Zeitschriften ihre Dienste an. Auf die meisten von uns wirken derartige Gruppenveranstaltungen mit heißem Draht zum Jenseits einfach nur peinlich und unglaubwürdig. Dennoch scheinen Kontakte zu Verstorbenen alles andere als eine esoterische Abnormität zu sein. Bei einer repräsentativen Umfrage an 1467 Personen in den USA antworteten 42 Prozent auf die Frage "Hatten Sie je das Gefühl, mit jemandem in Verbindung zu sein, der schon tot war?" mit einem klaren Ja. Etwas geringere Zahlen in Deutschland, dennoch geben auch hierzulande 28 Prozent zu, schon einmal Kontakt mit Verstorbenen gehabt zu haben. Zu einem Eingeständnis in aller Öffentlichkeit ist jedoch kaum einer von ihnen bereit. Extra-Schleifen im Hirn Sollte es also tatsächlich so sein, daß ungefähr ein Drittel aller Menschen unter Wahnsinn und Halluzinationen leidet und das nur mühsam vor den Mitmenschen verbirgt? Die Antwort der Wissenschaften: Es handle sich wohl um Halluzinationen, denn aus wissenschaftlicher Sicht gibt es natürlich keinen Kontakt zu den Toten. Doch vom Wahnsinn seien die meisten wohl weit entfernt. Typischerweise sind die meisten Kontakte zu Verstorbenen nur von kurzer Dauer, in zwei Dritteln aller Fälle geht es um ein einmaliges Erlebnis, das nicht wiederkehrt. Allein dies spricht dafür, daß es sich nicht um einen krankhaften Zustand handelt, "denn krankhafte Halluzinationen", so Erlendur Haraldsson, isländischer Psychiatrie-Professor und Experte für Halluzinationen, "zeichnen sich durch ein starres Muster aus - und sie kommen in akuten Krankheitsphasen immer wieder". Meistens scheint es sich bei den Erscheinungen Verstorbener um eine Art der Streßbewältigung zu handeln. Dafür sprechen die Ergebnisse einer Umfrage, die Haraldsson mit Menschen durchführte, die über ein Erlebnis mit Verstorbenen berichtet hatten. Demzufolge erscheint in kanpp der Hälfte aller Fälle ein Verwandter, in den anderen Fällen handelt es sich meistens um enge Freunde. Und wenn ein nahestehender Mensch stirbt, sorgt dies in der Regel für große emotionale Erregungen, die jedoch in unserer Zeit nicht unbedingt ausgelebt werden dürfen. Dem gestreßten Hirn bleibt somit gewissermaßen nichts anderes übrig, als sich vorübergehend in die Welt des Scheins zu flüchten, um dort sein Leid ausleben zu dürfen. Halluzinationen helfen Ein weiteres Kriterium für die Streß-These: Etwa ein Viertel der Erscheinungen bezieht sich auf Personen, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Plötzliche Todesfälle durch Unfall, Krankheit oder dergleichen sind jedoch für die menschliche Psyche nun einmal schwer verdaulich. Sie bedürfen oftmals einer "Extraschleife" in unserem Gehirn - und eine dieser Extra-Schleifen ist die Erzeugung einer Halluzination. Nicht umsonst geht es vielen Menschen danach besser als zuvor - die Erscheinung des Verstorbenen gibt ihnen gewissermaßen jene Gewißheit, die ihnen der reale, aber abrupte und irgendwie unvollendete Tod des betreffenden Menschen nicht geben konnte. Doch rätselhaft wird es, wenn ein Mensch von der Begegnung mit einem Toten berichtet, von dessen Tod er gar nichts wissen konnte. So stieß Haraldsson in seinen Studien auf einen Schiffspassagier, der in seiner Kabine einen Mann bemerkte, wie er sich am Ofen zu schaffen machte. Er trug einen blauen Pullover und einen Schal um den Hals, doch dann verschwand er genauso schnell, wie er gekommen war. Erst später erfuhr der Passagier, daß eben dieser Mann in der Nähe seines Ofens erstickt war - bei geschlossener Kabinentür, so daß niemand davon etwas bemerken konnte. Überflüssig zu erwähnen, daß der Tote einen blauen Pullover und einen Schal um den Hals trug. Jörg Zittlau |