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Ferner Osten prägt die Esoterik

Wissen um die Ureinheit oder einfach nur Glücksspiel?

Christa macht es sich nicht einfach. Bevor sie eine größere Entscheidung trifft, befragt sie das I Ging. Dazu wirft sie sechsmal drei Münzen und studiert die Zahlenkombinationen. Vier sind möglich: Kopf-Kopf-Kopf; das nennt sie eine bewegte Yang-Linie. Kopf-Kopf-Zahl (ruhende Ying-Linie). Kopf-Zahl-Zahl (ruhende Yang-Linie). Zahl-Zahl-Zahl (bewegte Yang-Linie). Aus den sechs Würfen baut sie von unten ein Hexagramm aus durchgezogenen und unterbrochenen Linien auf. Daneben zeichnet sie ein zweites Hexagramm, in dem aus der bewegten Ying-Linie eine Yang-Linie und aus der bewegten Yang-Linie eine Ying-Linie wird. Dann schlägt sie im "Buch der Wandlungen" (so die deutsche Übersetzung von I Ging) die Bedeutungen nach. Das erste Hexagramm zeigt ihr den Ist-Zustand, das zweite sagt ihr die Entwicklung voraus. Christa ist davon überzeugt, daß das I Ging die Wahrheit kennt.

Das "Buch der Wandlungen" wurde angeblich um 2950 v. Chr. von dem chinesischen Kaiser Fuchi verfaßt. Es hat seine Grundlage in den beiden Grundprinzipien des fernöstlichen Denkens: Ying, dem weiblichen, schwarzen, passiven, empfangenden, und Yang, dem männlichen, hellen, aktiven, zeugenden. Das sind die Pole der Welt. Zusammen ergeben sie das Tao, die Ureinheit, die in sich ruht.

Idee der Wiedergeburt

Die moderne Esoterik ist von fernöstlichem Denken fasziniert und inspiriert. Die Idee der Wiedergeburt scheint ihr naheliegender als die christlich-abendländische von Himmel und Hölle. Die polare Konstruktion von Ying und Yang klingt weniger simpel als die Gut-Böse-Polarität in der Tradition der Buchreligionen. Kann man diese Welt-Anschauung aber so einfach zu einem Instrument der Zukunftsvoraussage verbiegen, wie es das I Ging versucht? Wird damit die Polarität der Dinge nicht verantwortungslos in ein Glücksspiel verwandelt?

Der Esoteriker wird solche Fragen glatt mit "Nein" beantworten. Er vermutet einen großen Plan hinter der Erscheinung der Dinge, ein allwaltendes Ordnungskonzept. Nach dem hermetischen Gesetz, daß Unten eine Entsprechung für Oben sei und umgekehrt, können einzelne Teilaspekte der Ordnung aufeinander verweisen, also auch der Münzenwurf von Christas I Ging (ursprünglich wurden übrigens Schafgarbenstengel geworfen) auf die Gestaltung ihrer Zukunft.

Dem Schicksal auf der Spur

Aus solchen esoterischen Überzeugungen ist die jahrtausendalte Praxis jeder Wahrsagerei, Divination oder Mantik abgeleitet. Was hat der Mensch nicht alles ausprobiert, um den Vorhang seines Schicksals ein Zipfelchen weit abzuheben. Er hat nicht nur die Sterne befragt, sondern auch die Eingeweide von Opfertieren (Haruspicium), den Zug der Wolken (Aeromantie), die Gestaltung der Handflächen (Chiromantie), die Folge von Zahlen (Numerologie), die Blasen im Kaffeesatz (Kaffeedomantie), die Struktur von Kristallen (Kristallomantie), die Geschichten seiner Träume (Oneiromantie), den Ausschlag von Pendeln oder Ruten (Radiästhesie) oder die Folge von Karten (Kartomantie). Und dennoch ist es den wenigstens gelungen, ihr Schicksal auch nur annähernd in den Griff zu bekommen.

Das hindert selbst viele moderne Menschen in ihrer Neugier (sie müssen gar keine Esoteriker sein) nicht daran, solchen Techniken zu vertrauen. Man biete zum Beispiel einen Tarot-Kurs in der Volkshochschule an - ein volles Haus ist garantiert. Dabei ist Tarot überhaupt keine altehrwürdige Wahrsage-Methode. Es war wohl mal ein gewöhnliches Spiel mit 78 Karten. Erst im 19. Jahrhundert ist es mit dem Okkultismus in Beziehung gesetzt worden. Damals behauptete der französische Gelehrte Court de Gebelin, die Tarot-Karten seien ein verlorenes Buch aus dem alten Ägypten. Ihre Kartenbilder sollen das geheime Wissen der Priester von Isis und Osiris enthalten.

Die "große Arcana"

Und diese Bilder sprechen nun zu uns: die 22 Symbole der "großen Arcana" und die vier "Farben" - es handelt sich um Stäbe, Pokale, Schwerter und Münzen - der 56 kleinen Arcana-Karten. (Wir erinnern uns, daß "arcanus" wieder einmal ein lateinisches Wort für geheimnisvoll ist). Wie beim I Ging gibt es festgeschriebene Bedeutungs-Listen für die verschiedenen Symbole. So steht die Stabzwei für Überraschung und für Kummer; der Schwertkönig bedeutet böser Mann und steht auch für "verheiratet". Die zehn Hauptsymbole der "großen Arcana" wurden von dem Okkultisten Eliphas Levi überdies mit den zehn Sephirot (das sind Erscheinungsformen Gottes) der jüdischen Geheimlehre Kabbala verknüpft. So kann man mit dem Tarot nicht nur den bevorstehenden Kummer mit einem bösen Mann auskarteln sondern auch noch Auskunft über religiöse Grundsituationen erhalten. Tja, die alten Ägypter...

Herbert Heinzelmann

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