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Positives Denken – ein Trend, der nicht immer gut für die Gesundheit ist
Gute Geschäfte mit dem Dauerlächeln

Es gibt wohl kaum eine Epoche, in der die Menschen nicht davon überzeugt sind, es ganz besonders schwer zu haben. Und immer gibt es andere Menschen, die für all das Leiden eine perfekte Lösung parat haben. Die am häufigsten gehörte Lösungsformel der Gegenwart heißt schlicht und einfach „Think positive“, doch wer glaubt, daß dieser Anforderung eigentlich nichts mehr hinzugefügt werden müßte, täuscht sich. Denn mittlerweile gibt es regelrechte Schulen des positiven Denkens, und der Büchermarkt verdient an ihnen sehr viel Geld.

Am bekanntesten ist sicher die Schule von Dale Carnegie, der sich vom Tellerwäscher zum Buchmillionär mauserte. Sein Buch „Sorge dich nicht, lebe!“ ließ in Deutschland vor kurzem die Drei-Millionen-Grenze hinter sich. Ähnlich erfolgreich der promovierte Religionswissenschaftler Joseph Murphy. Allein in Deutschland sind über 50 Bücher von ihm erschienen, sein Buch „Die Macht Ihres Unterbewußtseins“ fand hierzulande zwei Millionen Käufer. Auch Norman Vincent Peale besitzt als Priester einen religiösen Hintergrund, von ihm stammt der Klassiker „Die Kraft des positiven Denkens“, der weltweit 20 Millionen mal über die Ladentheken ging. Und bei solchen Zahlen darf es nicht verwundern, daß mittlerweile neben Carnegie, Murphy und Peale noch Dutzende von anderen Autoren auf dem Markt kursieren, die uns das Dauerlächeln lehren wollen.

Bleibt die Frage, ob der Boom neben prall gefüllten Autoren- und Verlegerkassen auch noch andere günstige Effekte hat. Der Psychologe Günter Scheich hat sich intensiv mit den Schulen des positiven Denkens auseinandergesetzt und seine Untersuchungsergebnisse in einer umfangreichen Abhandlung zusammengefaßt. Titel des Werks: „Positives Denken macht krank.“

In seiner Tätigkeit als Psychotherapeut ist Scheich immer wieder auf Menschen gestoßen, die an der Aufforderung zum „Think positive“ krank geworden sind. Eine Arzthelferin kam aufgrund ihres akuten Übergewichts zu Dale Carnegies Büchern und verinnerlichte dessen Prinzip, der Harmonie nachzustreben und die Probleme zu verdrängen, derart intensiv, daß sie sogar Beleidigungen wie „Du fette Kuh“ mit einem wohlwollenden Lächeln hinnahm. Ihr Gewicht zu reduzieren – wie ursprünglich erhofft – gelang ihr freilich nicht. Im Gegenteil: sie legte bei 165 cm Körpergröße auf 167 Kilogramm zu.

Ein Speditionsangestellter versuchte sich mit den Büchern von Joseph Murphy von seinem Waschzwang zu kurieren. Dort lernte er, daß es von ihm selber abhängt, wie er sich fühlt. Immer wieder zermarterte er sich den Kopf, ob er wirklich eins sei mit dem Universum, wie es von Murphy gefordert wurde. Als Ergebnis seiner Grübeleien stellte er fest, daß er viel zu unrein für das Universum sei. Die Konsequenz: er wusch sich häufiger denn je, 50mal pro Tag.

Für Scheich liegt ein Kernproblem des positiven Denkens bereits in dessen Zielen, als da wären ein vollkommen angstfreies Leben, ewige Harmonie, absolute Gesundheit und ein natürlich zufallender Reichtum. „Die se Ziele haben nichts mit unserer, als leidvoll erfahrenen Wirklichkeit zu tun“, so Scheich, „und üben so eine große Faszination aus.“ Weiterhin wird suggeriert, daß es mit einer bloßen Umstrukturierung im Denken gelingen kann, diese Ziele zu erreichen. Und dies bedeutet wiederum: wer die Ziele nicht erreicht, hat eben nicht positiv gedacht und ist somit selbst schuld. Ein Mechanismus, der gerade depressiv veranlagte Menschen noch tiefer in ihre melancholischen Selbstvorwürfe schickt.

Ein weiterer Haken des positiven Denkens: es ignoriert das psychologische Gesetz der entgegengesetzten Wirkung. Dieses Gesetz besagt, daß gerade ein starkes Vermeidungsverhalten dazu führt, daß das Befürchtete eintritt. Wer beispielsweise während einer Rede ständig darauf achtet, nicht zu stottern, wird dabei so verkrampfen, daß er erst recht stottern wird. Für das positive Denken bedeutet dieses Gesetz: Wer ständig darauf achtet, bloß keine negativen Gedanken zuzulassen, wird dabei so verkrampfen, daß er erst recht von negativen Gedanken wie Schuld- und Versagensgefühlen eingeholt wird.

Die Chancen also, mittels des positiven Denkens tatsächlich als positiver Mensch wiedergeboren zu werden, sind gering. Dies soll freilich nicht bedeuten, daß mit dem „Think positive“ demnächst keine Geschäfte mehr gemacht werden. Denn dazu kommt es einfach zu sehr der Überzeugung unserer fortschrittsgläubigen Zeit entgegen, wonach mit Hilfe der richtigen Techniken alles machbar ist – auch das persönliche Glück.

Jörg Zittlau

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