Zurück zum Inhalt Medizin Sardinenbüchsen Die 70jährige Frau wollte nach Hause nach Venezuela. Aber bereits auf dem Flug von Berlin nach Frankfurt am Main bekam sie unerträgliche Schmerzen in Beinen und Brust. In der Frankfurter Flughafenklinik legten ihr die Ärzte nahe, den Rückflug zu verschieben, doch die alte Dame hatte Heimweh. Noch am selben Tag stieg sie in die Maschine nach Südamerika. Ihre Verwandten in der Ankunftshalle sah sie nicht mehr sie starb, kurz nachdem sie aus dem Flugzeug ausgestiegen war. Für den Flughafenarzt Rainer Hofmann war klar, als er vom Schicksal seiner Patientin hörte: Die Frau starb an einer Lungenembolie, ausgelöst durch eine Thrombose. Nach Meinung des Mediziners ist das kein Einzelfall. Bewegungsloses Sitzen über Stunden behindert den venösen Blutstrom. Flüssigkeit lagert sich im unteren Teil des Körpers ein. Die Symptome kennen viele: die Beine schwellen an und werden schwer, schmerzen mitunter. Wer die Schuhe ausgezogen hat, kommt nicht mehr rein. Jetzt können Gerinnsel entstehen, die eine Vene verstopfen. Bewegt sich der Passagier dann wieder, macht sich das Gerinnsel auf die Beine, wandert zum Herz und gelangt so in die Lungenarterien. Die Atmung wird gestört, es kommt zum Lungeninfarkt der Embolie. Weil Passagiere vor allem in der Touristenklasse wie in einer Ölsardinenbüchse sitzen, nennen Mediziner dieses Krankheitsbild auch Economy-Class-Syndrom. Vorreiter in der Erforschung dieses Phänomens seien die Neuseeländer, die einen deutlichen Zusammenhang zwischen Thrombosen und langem Fliegen festgestellt hätten, berichtet der Leitende Arzt des medizinischen Dienstes der Deutschen Lufthansa, Lutz Bergau. Eine Vielzahl der Patienten, die mit akuter Thrombose ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, hatten kurz zuvor länger als vier Stunden im Flugzeug gesessen. Das Economy-Class-Syndrom wird auch hierzulande zunehmend ernstgenommen. So ernst, daß die Lufthansa bereits Flyrobic per Video in allen Flugklassen anbietet. Da präsentiert der ehemalige Fernseh-Sportmoderator Dieter Kürten während des Langstreckenfluges auf der Mattscheibe isometrische Übungen, mit denen sich auch auf engstem Raum die Gefäße fithalten lassen. Doch das Video kommt während des Fluges zu spät, kritisiert Lutz Bergau. Nachdem der Passagier gegessen, eingekauft und einen Spielfilm gesehen hat, sind oft schon Stunden vergangen, und dann schläft er ein. Mediziner warnen vor Panik Der Münchener Flughafenarzt Franz Brettner warnt aber eindringlich vor Panik. Theoretisch sei eine Thrombose auf Langstreckenflügen möglich. Ihm sei aber kein Todesfall bekannt, der darauf zurückzuführen sei. Auch Bergau stellt klar, daß es sich auf keinen Fall um ein Massenphänomen handelt. In Deutschland gebe es nach seinen Erkenntnissen so gut wie keinen Fall, der eindeutig dem Touristenklassen-Syndrom zuzuordnen ist. Bei 40,5 Millionen Passagieren, die allein Lufthansa, Condor und City Line 1996 befördert haben, liege die Zahl der Todesfälle unter zehn, sagt Bergau. Statistiken zufolge komme normalerweise ein Todesfall auf zwei bis drei Millionen Passagiere, und von diesen Fällen seien etwa 70 Prozent durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. Und davon lasse sich nur ein Bruchteil auf das Economy-Class-Syndrom zurückführen. Wer dennoch Angst hat, sollte im Zweifel seinen Arzt fragen, ob er sich eine lange Reise zumuten kann. Unter die Kategorie stundenlanges beengtes Sitzen fallen im übrigen auch Busreisen und Fahrten mit dem Auto. Thrombosegefährdet sind vor allem ältere Menschen, Übergewichtige, Schwangere, Raucher, Tumorkranke, frisch Operierte, Frauen, die die Pille nehmen, und Menschen mit Krampfadern. Diese Risikogruppen müssen aber keineswegs auf Urlaub in fernen Ländern verzichten: Stützstrümpfe etwa können helfen. Auch Bewegung kann vorbeugen, sagen Mediziner. Einmal in der Stunde Pause vom Sitzen machen und aufstehen, die Beine vertreten, sei die einfachste Prophylaxe gegen Thrombose. Wenn allerdings alle 380 Passagiere eines Jumbos den Gang entlanglaufen, könnte das mitunter schwierig werden. Bei so viel Bewegungsfreiheit werden die Beine auch auf Langstreckenflügen hinreichend durchblutet. In vielen Flugzeugen nicht nur in der Economy Class sieht der Freiraum jedoch deutlich bescheidener aus. Zurück zum Inhalt Medizine-mail an die Redaktion |