Zurück zum Inhalt Medizin Krebsbestrahlung im Atom-Ei Reaktor an Strahl auf. Die Leuchtschrift im Atom-Ei in Garching bei München blinkt auf. Eine todkranke Krebspatientin bleibt in einer Kammer neben dem Reaktorbecken allein zurück. Sie sitzt auf einem umgebauten Autositz, vor ihr ragt ein Metallrohr aus der Wand. Zehn Minuten lang läßt sie ihren Brusttumor mit Neutronen bestrahlen. Die 75jährige ist eine von hunderten Patienten aus ganz Deutschland, Österreich und Italien, die sich im Garchinger Atom-Ei bestrahlen lassen. Diese Form der Krebsbehandlung gibt es weltweit sonst nur noch in einem Reaktor bei Moskau. Bei den Menschen, die nach Garching kommen, siegt die Hoffnung über die Angst vor dem Reaktor. Man tut ja alles, um die Krankheit aufzuhalten, sagt eine 58jährige Patientin. Weder Chemotherapie noch die konventionelle Strahlentherapie halfen ihr im Kampf gegen den Brustkrebs. Jetzt scheut sie auch vor der Behandlung im Atom-Ei nicht zurück. Ich weiß, daß alle Welt den Reaktor verteufelt. Besonders bei oberflächlichen Tumoren an Kopf, Hals, Brust oder Haut kann die Neutronenbestrahlung nach den Worten von Prof. Michael Molls, dem Chefarzt der Münchner Strahlenklinik Rechts der Isar, helfen. Manche Tumoren schmelzen weg wie Butter in der Sonne, beschreibt er das Wirkungsprinzip der Strahlenthera pie. Im Vergleich zu normalen Röntgenstrahlen zerstören Neutronen die Tumorzellen viermal so stark. Heilungserfolge gab es in den vergangenen Jahren überwiegend bei Speicheldrüsentumoren. Ein Großteil der Patienten, die in Garching bestrahlt werden, sind allerdings unheilbar krank. Bei ihnen steht die Schmerzlinderung im Vordergrund. Eine 65jährige Frau aus dem Allgäu ist zweieinhalb Stunden mit dem Taxi zum Reaktor angereist. Sie wird zum ersten Mal im Atom-Ei bestrahlt. Die werden mich hier schon nicht umbringen, sagt sie mit nervösem Lächeln. Am Eingang zum Reaktor wird sie vom behandelnden Arzt, Rolf Stepan, abgeholt. Die Szenerie erinnert an einen Science-Fiction-Film. Durch zahlreiche Sicherheitskontrollen führt der Arzt die Patientin zum Reaktorbecken. Dort steht, inmitten der Versuchsbereiche der Physiker, die kleine Behandlungskammer. Über den Autositz, auf dem die Patienten bestrahlt werden, haben die Ärzte ein paar Poster gehängt: ein Katzenbaby, eine Alpenlandschaft. Das Ambiente ist grauenhaft, gesteht Stepan. Aber den Patienten sei dies meist egal: Sie nehmen alles in Kauf, weil sie keine Alternativen haben. Im geplanten Reaktor-Neubau, der im Jahr 2002 das Atom-Ei ablösen soll, sollen die technischen und räumlichen Möglichkeiten zur Krebsbestrahlung besser sein. Dieses Argument zugunsten des heftig umstrittenen Neubaus ist den Atomgegener allerdings seit langem ein Dorn im Auge. Hier wird mit dem Leiden der Menschen um Akzeptanz für einen fragwürdigen Atom-Reaktor geworben, klagt der Biochemiker Roland Scholz von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Das ist eine ganz böse Angelegenheit. Offensichtlich falle es den Befürwortern schwer, überzeugende andere Argumente für den rund 770 Millionen teuren Neubau zu finden. Molls hingegen rechnet für die nächsten Jahre mit deutlich stärkerem Andrang im Atom-Ei. Die neue Neutronenquelle wird es möglich machen, daß mehr Patientin unter günstigeren Bedingungen behandelt werden können. Ihm geht es vor allem darum, den teilweise todkranken Patienten ein schmerzärmeres Leben zu ermöglichen. Häufig würden die Patienten wegen des starken Geruchs der Tumoren sogar von ihren Familien ausgegrenzt. Zu seinen schlimmsten Fällen gehörte eine Patientin mit einem blumenkohlgroßen Tumor am Kopf. Selbst diese Geschwulst sei durch die Neutronenbestrahlung zurückgegangen. Meist sind die Erfolge jedoch nicht von Dauer. Aber die Patienten, meint Molls, sind dankbar für jeden Tag. Ich habe tausende von Krebspatienten kennengelernt. Aber keiner von ihnen hat sich das Leben genommen. Zurück zum Inhalt Medizine-mail an die Redaktion |