© Nürnberger Zeitung 1996
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Die Toten könnten den Lebenden
weiterhelfen
Die
Möglichkeiten der Transplantationsmedizin sind in den
letzten Jahren stetig größer geworden. Nahezu kein
Organ, so scheint es, das heute nicht austauschbar wäre:
Bauchspeicheldrüse, Hornhaut des Auges, Leber, Herz oder
Niere. Diese Errungenschaften sind zweifellos ein
Ruhmesblatt der modernen Medizin, und sie könnten ein
Grund zur Freude sein. Dem fortgeschrittenen
Leistungsstand der deutschen Transplanteure, die sich im
November in Erlangen zu ihrem ersten interdisziplinären
Jahreskonferenz trafen, steht jedoch ein Problem
entgegen: Spenderorgane, die den Weg auf den OP-Tisch
gebracht werden können (Foto), sind aufgrund der
mangelnde Bereitschaft, Organe zu spenden, Mangelware.
"Menschen dürften nicht sterben, wenn die
Transplantationsmedizin sie retten könnte",
beklagte Dekan Lehnert. Möglicherweise wäre die
Situation der deutschen Transplantationszentren auch
besser, wenn die Kooperation der bundesdeutschen
Krankenhäuser mit den Transplantationszentren
reibungsloser, die Kriterien der Organverteilung klarer
und die Bevölkerung informierter wäre.
Teamwork
der Ärzte
Ein Herz oder
eine Niere zu transplantieren, ist komplex und aufwendig.
Schon vor der Operation sind umfangreiche Untersuchungen
des Organempfängers nötig, muß ein klares Konzept der
jeweils individuellen Behandlung erstellt werden, ist
eine psychologische Vorbereitung des Patienten auf den
Eingriff nötig. Virologen, Histologen, Urologen und
Neurologen arbeiten hier eng zusammen. Wenn dann nach
einem oft jahrelangen Warten auf ein Spenderorgan endlich
operiert werden kann, beginnt für das Ärzteteam und den
Patienten ein zäher Kampf gegen Organabstoßung und
Infektionen, der durch moderne Technik und
Immunsuppression zu wesentlich besseren Erfolgen führt
als noch vor Jahren. Ohne Risiken ist die
Transplantationsmedizin also nicht.
Siebzig
Prozent Zustimmung
Welche
Alternative aber bleibt den vielen Dialysepatienten
schon, als sich dem komplizierten Eingriff zu
unterziehen? Mit einer dreißigprozentigen
Ablehnungsquote zur Organspende liegt die Bundesrepublik
zwar hinter ihren Nachbarländern Holland und Österreich
zurück. Immerhin aber stimmen siebzig Prozent der
Angehörigen von "Hirntoten" einer Explantation
zu. Im internationalen Vergleich sind diese nüchternen
Zahlen also nicht schlecht, wenngleich längst nicht gut
genug. In diesem Zusammenhang kündigte Dr. Ingeborg
Hauser, Leiterin der Transplantationszentrale Erlangen,
eine Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung an, die mit einer Broschüre an alle
Haushalte, Organspende zu einem stärkeren öffentlichen
Thema machen möchte. Noch immer ist die Bevölkerung
verunsichert in der Frage der "gerechten
Verteilung" von Organen und der Kriterien der
Todesfeststellung. Tatsächlich berührt die Jahrestagung
hier einen zentralen Gegenstand des geplanten
Transplantationsgesetzes, das Ärzten wie Organspendern
Rechtssicherheit geben soll. Im Interesse der Kranken ist
eine wirklich offene Diskussion über die Organspende zu
begrüßen.
Armin
Roucka
©
Nürnberger Zeitung 1996
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