Copyright Nürnberger Zeitung 1996 Schmerzen durch ComputerarbeitÜber Sinn und Unsinn von ergonomisch geformten Spezial-TastaturenDie Hand fühlt sich an, als wimmele eine Armee von Ameisen darin herum. Der Schmerz schießt den Unterarm hoch bis zum Ellbogen, der so kraftlos ist wie nach einem Tennisturnier, und das, obwohl man seinen Arbeitsplatz am Computer kaum verlassen hat. Die Symptome könnten die ersten Anzeichen einer langwierigen Erkrankung sein, dem sogenannten Karpaltunnelsyndrom. Es wird Zeit, zu einem Arzt zu gehen - und sich nach einer anderen Computer-Tastatur umzusehen. Zwischen 25 und 40 Prozent aller Computeranwender in den Vereinigten Staaten, so wird geschätzt, leiden an Gesundheitsschädigungen, die durch übermäßiges oder nicht fachgerechtes Arbeiten an dem Gerät ausgelöst werden. Sie können von leichteren Beschwerden bis hin zu lähmendem Schmerz reichen. Die Zahl dürfte von Statistiken in Deutschland und in den vielen anderen Ländern, wo ein Computer von den meisten Arbeitsplätzen nicht mehr wegzudenken ist, kaum abweichen. Computeranwender, die am Karpaltunnelsyndrom leiden, bemerken zunächst ein Taubheitsgefühl, ein Prickeln oder Schmerzen in Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Andere PC-Nutzer klagen nach einem langen Arbeitstag über quälende Schulter-, Nacken- oder Rückenschmerzen. Viele der Betroffenen suchen Hilfe in einer ergonomischen Tastatur. Doch welche alternative Tastatur die richtige ist, um den verschiedenen Beschwerden gezielt zu Leibe zu rücken - darüber gibt es etwa so viele Meinungen wie entsprechende Produkte. Etwa zwei Dutzend solcher Tastenbretter sind derzeit auf dem Markt erhältlich, etliche davon allerdings nur in den USA. Der Preis für die merkwürdig geformten, gelegentlich auch zum Auseinandernehmen geeigneten Geräte beträgt zwischen ca. 100 und 1500 Mark. Die meisten ergonomisch geformten Tastaturen können tatsächlich eine Linderung schmerzhafter Symptome im Arm- und Handbereich bewirken - doch garantieren die Hersteller in aller Regel wohlweislich keine medizinische Heilung. Denn als Grundregel hier gilt: Jeder Mensch ist anders gebaut. Als wesentliche Faktoren seien hier die Spanne zwischen Ellbogen und Handgelenk, die Abstände zwischen Handgelenk und Fingeransatz, die Länge der Finger oder die Größe der Hand genannt. Entsprechend kann eine Tastatur, die für den einen gut ist, für den anderen geradezu schädlich sein. "Ein Keyboard ist wie ein Schuh", so Linda J. Johnson vom SHARE-Rehabilitationszentrum in Oakland, Kalifornien. "Man sollte es vor dem endgültigen Kauf unbedingt mehrere Tage oder Wochen ausprobieren, am besten unter Aufsicht eines Physiotherapeuten." Da ist zum Beispiel das Micorosoft Natural Keyboard, das mit knapp 100 US-Dollar in der unteren Preiskategorie angesiedelt und vermutlich deshalb nicht nur bei den Verbrauchern in den USA mit den genannten Gesundheitsproblemen äußerst beliebt ist. Diese Tastatur, die für 199 Mark auch in Deutschland angeboten wird, ist kurvig geformt, was eine angenehmere Handhaltung ermöglicht, und hat getrennte Tastenfelder für jeweils die rechte und die linke Hand. Die Umstellung von einem herkömmlichen Keyboard fällt zudem relativ leicht. Während viele Anwender darauf schwören, winkt jedoch Yumi Yasude, Beschäftigungstherapeutin bei SHARE, ab. "Das Microsoft Keyboard ist mit fast einem halben Meter Spannweite einfach zu groß, um therapeutisch wirksam zu sein", erklärt sie. "Der Benutzer muß zu weit aus seiner natürlichen Armhaltung herausgreifen, um die Maus zu erreichen." Yasude hält die Bedienung der Maus für die eigentliche Ursache vieler Beschwerden am Computer. Gut seien daher zum Beispiel solche Tastaturen, in denen schon eine Maus oder ein sogenannter Trackball eingebaut seien. Die Expertin empfiehlt ihren Patienten bevorzugt kleine Tastenbretter, die eine einfache Bedienung sowohl der Tasten als auch der externen Maus ermöglichen. Diese gibt es von einer Reihe von Herstellern; sie sind oftmals sogar im regulären Sortiment von Computerläden statt in der Gesundheitsecke zu finden - falls es eine solche überhaupt gibt. In Deutschland bieten neben Microsoft unter anderem folgende Hersteller ergonomische Tastaturen an: die Tastatur-Spezialisten Cherry (Auerbach) und Marquardt (Rietheim-Weilheim), die IBM-Tochter Lexmark (Dietzenbach) sowie die Computerhersteller Siemens-Nixdorf (SNI, Augsburg) und Apple Computer (Ismaning). In den USA gibt es eine Reihe weiterer Anbieter. "Es ist schwierig, einen Markt für ergonomische Keyboards zu entwickeln", erklärt dazu Eileen Vollowitz von Back Designs, einem Fachgeschäft für ergonomische und orthopädische Produkte in Berkeley (Kalifornien). Sie rät ihren Kunden häufig zur ergonomischen Tastatur von Kinesis zum Kostenpreis von 390 US-Dollar (für PC) oder 499 US Dollar (für Mac und Sun). Die Tasten sind auf einem Brett, jedoch in zwei schüsselartigen Vertiefungen und separat für beide Hände angeordnet. Sie lassen sich leichter anschlagen als die der meisten anderen Geräte, was wiederum nicht jedem Anwender gleichermaßen gut tut. Die ungewöhnliche Anordnung der einzelnen Tasten erfordert zudem einige Übung. Jedoch glaubt Vollowitz, selbst Beschäftigungstherapeutin, nicht an das ergnonomische Keyboard als Wundermittel. "Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die zur Beseitigung von Krankheitssymptomen, verursacht durch langes Arbeiten am Computer, beitragen." Wichtig sind ihrer Meinung nach vor allen Dingen die Sitzposition, der Blickwinkel auf Bildschirm und Papiervorlage, die Anschlagsstärke auf der Tastatur, die Streßsituation am Arbeitsplatz und wie häufig man sich eine Pause gönnt. Vollowitz: "Die Tastatur ist das letzte Glied in dieser Kette." Zurück zum Inhalt Medizine-mail an die RedaktionCopyright Nürnberger Zeitung 1996 |