Euro-Serie 12

Teil zwölf
Der Einzelhandel vermißt detaillierte und verbindliche Aussagen über wichtige Rahmendaten der Währungsumstellung
Fakten gefordert:
„Solange die Henne bloß gackert, kann ich das Ei nicht verkaufen“
„Big Bang“ oder längere Parallelwährungsphase – Probleme rund um doppelte Preisauszeichnung und krumme Umrechnungsbeträge – Viele verdrängen das Thema - VON VERENA LITZ

NÜRNBERG – Die Frage, ob er sich schon konkret auf den Euro vorbereitet habe, beantwortet Lothar Geyer mit einem schlichten „Nein“. Nicht, daß sich der Nürnberger Tabakwarenfachhändler keine Gedanken über die geplante europäische Einheitswährung machte. Aber ihm geht es wie vielen seiner Kollegen: Er vermißt verbindliche Aussagen darüber, was auf den Handel im Detail zukommt. „Solange die Henne bloß gackert, kann ich das Ei nicht verkaufen. Wir müssen Fakten auf dem Tisch haben“, bringt Geyer das Problem auf den Punkt. Außer dem Fahrplan zur Währungsunion gibt es aber praktisch keine.

Daß Ladeninhaber Geyer keine Ausnahme ist, zeigt auch eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) vom Frühjahr: Danach rechnen zwar 61 Prozent der Einzelhändler mit dem pünktlichen Start der Währungsunion 1999; Vorbereitungen auf die Einführung des Euro, der ab 2002 auch in den Kassen klimpern soll, haben aber erst zwölf Prozent getroffen. Schon 1999 kann sich der Handel freilich mit dem Euro konfrontiert sehen: Ab diesem Jahr kann die neue Währung für bargeldlose Zahlungsvorgänge verwendet werden. Siemens etwa will zum 1. Oktober 1999 sein Rechnungswesen auf den Euro umstellen.

„Große Verunsicherung“

Das Ergebnis der DIHT-Umfrage legt nahe, daß gerade bei kleinen und mittleren Betrieben eine Art Vogel- Strauß-Mentalität herrscht. Ein Schluß, den Dieter Puhlmann, Bezirksgeschäftsführer des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels (LBE) in Mittelfranken, und Hans-Joachim Lindstadt von der Industrie- und Handelskammer Nürnberg nicht von der Hand weisen. Das Thema „Euro“ wird von vielen einfach verdrängt – und daran ist die Politik „nicht unschuldig“, wie Lindstadt sagt. Im Moment sei jedenfalls eine „große Verunsicherung“ bei den Firmen spürbar. Die Stimmung wird wohl so schnell auch nicht in helle Begeisterung umschlagen. Denn in Deutschland diskutieren Volksvertreter zwar eifrig die Konvergenzkriterien, wichtige Fragen des Handels stehen aber nach wie vor unbeantwortet im Raum.

Zwei Dinge treiben die Branche besonders um: die Länge der Parallelwährungsphase – der Zeitraum, in dem Mark und Euro gesetzliches Zahlungsmittel sind – und die Preisauszeichnungspflicht in beiden Währungen. Am allerliebsten wäre dem Handel der „Big Bang“: In diesem (Wunsch-)Szenario würde der Euro die Mark praktisch auf einen Schlag ablösen. Wahrscheinlicher ist jedoch eine deutlich längere Übergangsfrist, im Gespräch ist ein halbes Jahr.

Milliardenschwerer Unterschied

Für die Branche hätte der „Big Bang“ oder zumindest ein „Small Bang“ mit einer nur kurzen Doppelwährungsphase große Vorteile – genauer gesagt milliardenschwere, wie der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels vorrechnet. Danach schlägt eine halbjährige Parallelwährungsphase mit 30 Milliarden Mark zu Buche, beim „Big Bang“ mit vierzehntägigen Übergangsfrist belaufen sich die Umstellungskosten dagegen „nur“ auf 14 Milliarden Mark.

Ein Spaziergang ist das „Unternehmen Euro“ in beiden Fällen nicht. Kassen und Waagen müssen umgestellt, Preise umgerechnet werden; doppelte Abrechnung wird zumindest eine Zeitlang an der Tagesordnung sein; Warenwirtschaftssysteme gilt es anzupassen und – ganz wichtig – die Mitarbeiter müssen geschult werden. Denn Rechenfehler im Umgang mit der neuen Währung kämen beim Kunden schlecht an.

Apropos Kunde: Die Verbraucherverbände fordern eine einjährige doppelte Preisauszeichnungspflicht Mark/Euro, nämlich sechs Monate vor und sechs Monate nach Einführung der neuen Münzen und Noten im Januar 2002. Diese Frist halten sie für notwendig, damit sich der Verbraucher an das neue Geld gewöhnt und Vertrauen gewinnt.

Preise im Visier

Gegen eine zu schnelle Umstellung sind die Verbraucherschützer freilich noch aus einem zweiten Grund: Sie fürchten, der Handel könnte die Gelegenheit nutzen, beim Glätten der „krummen“ Umrechnungsbeträge still und leise die Preise zu erhöhen. Daß es bei dieser Aktion zu Aufrundungen kommt, will LBE-Funktionär Puhlmann nicht ausschließen; häufiger wird allerdings wohl abgerundet werden müssen: „Im deutschen Einzelhandel herrscht scharfe Konkurrenz. Möglichkeiten zu Preiserhöhungen sehe ich deshalb nicht. Wir glauben sogar, daß das Preisniveau insgesamt eher nach unten geht.“

In Europa wird der Euro auf jeden Fall für mehr Transparenz sorgen und vielen Verbrauchern die Augen öffnen für das Preisgefälle innerhalb der Europäischen Union. Daß es gravierende Unterschiede gibt, ist zumindest bei Autos und Medikamenten bekannt. Wie groß die Spannbreite bei „kleinen“ Produkten ist, zeigte eine Studie des Marktforschungsinstituts A.C. Nielsen vor wenigen Monaten: Danach kostete eine Dose Niveacreme in Deutschland umgerechnet 5,54 Ecu (ein Ecu sind knapp zwei DM), in Frankreich aber nur 2,97 Ecu. Das Glas Nutella war dagegen hierzulande für 1,61 Ecu zu haben, in Dänemark mußte der Kunde dafür 3,60 Ecu löhnen. Mit ein Grund für die Preisunterschiede sind die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze in der EU. Der Euro wird letztlich also auch die Steuerharmonisierung beschleunigen.

Die Umrechnung der Preise in Euro bereitet den Händlern aber nicht nur wegen Auf- und Abrundungen Kopfzerbrechen. Mit der Mark verschwinden auch die bislang gültigen Schwellenpreise (zum Beispiel 1,99 DM) – und die sind ein wichtiges Marketing-Instrument. Neue „psychologische“ Eckwerte müssen also gefunden werden. Die Gratwanderung für den Handel besteht nun darin, die eigene Gewinnspanne nicht zu gefährden, gleichzeitig aber die Kunden nicht mit Preiserhöhungen zu vergrätzen. Nicht überall läßt sich das Problem wie bei Zigaretten relativ einfach mit einer Änderung des Packungsinhalts lösen.

Zur Chefsache machen

Trotz der großen Herausforderungen, die die Währungsumstellung an die Händler stellt, ist es in der Branche aber erstaunlich ruhig. Weder die IHK Nürnberg noch der mittelfränkische Einzelhandelsverband werden mit Fragen bestürmt. Für Lindstadt und Puhlmann ein weiteres Indiz dafür, daß das Thema „Euro“ von vielen einfach verdrängt wird – eine Feststellung, die auch Tabakhändler Geyer einräumt. Angst, von den Ereignissen überrollt zu werden, hat er persönlich allerdings nicht: „Wir Kleinen bringen es im Fall X schon irgendwie hin.“

Lindstadt und Puhlmann raten freilich dringend, das Projekt „Euro“ schnell zur Chefsache zu machen. „Die Firmen müßten jetzt einen Euro-Beauftragten einsetzen, der den Handlungsbedarf im Betrieb analysiert“, sagt Lindstadt. Bei IHK und Einzelhandelsverband jedenfalls steht der Euro ganz oben auf der Tagesordnung.

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