Die beiden Software-Häuser Microsoft und Netscape liefern sich in diesem Herbst einen erbitterten Konkurrenzkampf: Goliath Bill Gates will den kleinen David aus Kalifornien vom ersten Platz bei den Browsern verdrängen. Diesen Programmen zur Darstellung von Internet-Inhalten wird eine Schlüsselrolle für das gesamte Spektrum von PC-Software zugeschrieben, auch für die von Microsoft dominierten Anwendungsprogramme und Betriebssysteme.
In der Cyber-Szene hat der Kampf um Marktanteile die Züge eines Glaubensstreits angenommen, seit Microsoft am 13. August den völlig überarbeiteten Internet-Explorer 3.0 herausgebracht hat und sechs Tage später Netscape mit seinem Navigator 3.0 nachzog. "Bitte ruiniert diese Seite nicht und benutzt keinen käsigen Web-Browser", schreibt etwa Dian Chesney aus Chicago auf ihrer Homepage. Sie schwört auf das Microsoft-Produkt und hat spezifische Multimedia-Elemente in ihre Seiten eingebaut, die mit dem Navigator nicht funktionieren.
Lange gezögert
Mit einem Anteil von weltweit 85 Prozent lag der Newcomer Netscape bisher unangefochten an der Spitze des Browser-Marktes. Als Microsoft im Dezember 1995 das Internet nach langem Zögern endlich ins Zentrum der Software-Entwicklung stellte, setzten bereits Millionen von privaten Computeranwendern den Navigator ein.
Dieser hatte das erste Zugangsprogramm zum World Wide Web (WWW), einen 1993 an der Universität von Illinois entwickelten Browser namens Mosaic, im Dezember 1994 als Standard abgelöst. Netscape war erfolgreich, weil Firmengründer und Mosaic-Mitentwickler Marc Andreessen der rasanten Entwicklung des globalen Computernetzes Rechnung trug: Immer mehr Anwender gelangten nicht mehr über schnelle Uni-Leitungen ins Internet, sondern über quälend langsame Modem-Verbindungen mit dem öffentlichen Telefonnetz.
Mit dem Navigator wurde es erstmals möglich, Web-Seiten auch über das Modem in erträglicher Zeit auf den Bildschirm zu bringen. Zudem unterstützte das Programm fast von Beginn an alle gängigen Computersysteme. Obwohl es sich bei dem Browser nicht um kostenlose Freeware handelt, ließ es Netscape zu, daß der Navigator frei erhältlich war und millionenfach von seinen Rechnern heruntergeladen wurde - in der Hoffnung, daß der neue Standard die Unternehmen zum Kauf der professionellen Netscape-Produkte veranlassen würde.
Doch inzwischen gerät die dominierende Stellung der Netscape-Browser unter Druck. Der Navigator war bereits in der Vorversion so ausgereift, daß die Ausgabe 3.0 nur noch eine Reihe von Ergänzungen bringen konnte. Microsoft aber gelang mit dem Sprung vom Internet-Explorer 2.0 auf 3.0 eine Qualitätsverbesserung, die dem oft behäbig wirkenden Marktführer kaum zugetraut worden war. Der neue Browser des Konzerns ist dem Produkt des Herausforderers erstmals ebenbürtig.
Selbst eingefleischte Microsoft-Kritiker müssen einräumen, daß der neue Explorer in mancher Hinsicht sogar besser ist als der Navigator. Zudem wird der Explorer ohne jede Einschränkung kostenlos verteilt und inzwischen auch auf einer CD-ROM den Computerzeitschriften beigelegt. Der Netscape-Navigator muß hingegen aus dem Internet oder den Online-Diensten heruntergeladen oder bestellt werden - in Deutschland bei der Vertriebsfirma Softline in Oberkirch.
Weil sich die technischen Verbesserungsmöglichkeiten langsam ihren Grenzen nähern, bemühen sich die beiden Browser-Kontrahenten auch um inhaltliche Angebote. Als elektronischer Nachrichten- und Informationsservice versteht sich "Netscape Inbox Direkt": Die Anwender des Navigators können ein persönliches Interessenprofil registrieren lassen und die gewünschten Infos von Unternehmen oder Medien automatisch und kostenlos in ihre Mailbox schicken lassen, darunter die New York Times. Der Internet-Explorer hält dagegen mit einem freien Zugang zu den Angeboten von MTV, Wall Street Journal und anderen.
Codename Galileo
Netscape weist seine Kunden bereits auf die nächste Version hin, die unter dem Codenamen Galileo entwickelt wird und einige Überraschungen bergen soll. Im Gespräch sind unter anderem erweiterte Funktionen für E-Mail und die Projektplanung von Gruppen. Der Internet-Explorer 4.0 soll ebenfalls noch vor Jahresende herauskommen. Wichtigste Neuerung: Der Zugriff auf Internet-Angebote und auf Dateien der lokalen Festplatte soll in der Bedienung vereinheitlicht werden, indem auch der aus dem Datei-Manager von Windows 3.1 hervorgegangene Windows-95-Explorer eine Hypertext-Ansicht erhält. Von dort aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, bis der Browser im Betriebssystem des Computers aufgeht - und das soll dann nach dem Willen des Gates-Konzerns weiterhin von Microsoft kommen.
PETER ZSCHUNKE