Abwarten und Reiswein trinken. . .
Erste Eindrücke aus der 7-Millionen-Stadt Wuhan in China – Ab 21 Uhr sind die Straßen wie leergefegt

Bis jetzt war es nur ein Traum. Doch seit ein paar Wochen ist er Wirklichkeit. Wer meinen ersten Artikel gelesen hat, weiß, was ich meine. Ich bin nämlich Anfang April mit meiner Familie in eine 7-Millionen-Stadt mitten in China gezogen. Klingt aufregend. Ist es auch – am Anfang. Wenn man aber erst mal hier ist, läßt die Begeisterung schnell nach.

Doch alles der Reihe nach: Also, als ich an jenem 3. April hier total fertig ankam, traf mich erst mal der Schlag. Tropenregen! Ich dachte die Welt geht unter. So was kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Dann – nach einer chaotischen Autofahrt – kamen wir endlich in unserer Wohnung an. Im 10. Stock eines Hochhauses, direkt an einer 8spurigen Straße, nebenan überall Baustellen, kein Garten, kein Baum, nichts.

Vorrang für Fußgänger

In den darauffolgenden Tagen kam dann erst einmal die große Stadtbesichtigung. Also wenn ich Wuhan und Nürnberg vergleiche, denke ich immer an Schwarz und Weiß. Hier ist einfach alles anders. Zum Beispiel der Verkehr. Von Verkehrsregeln scheint hier noch keiner etwas gehört zu haben. Nur eine nützliche Regel ist mir aufgefallen: Im Gegensatz zu Deutschland sind die Fußgänger die Stärksten. Danach kommen die Radfahrer und irgendwann mal die Autos. Der Vorteil daran ist, daß man als Fußgänger einfach ohne zu schauen über die Hauptstraßen schlendern kann. Ohne Angst, überfahren zu werden. Das wäre in Deutschland nie möglich.

Ein anderer krasser Gegensatz ist die Mentalität der Leute. Nach außen hin sind die Chinesen rausgeputzt, das ist der Hammer – nach westlichem Vorbild natürlich. Aber putzen oder so was tut hier keiner. Die Straßen schauen aus, überall Dreck, Müll.

Der Lebensstil ist auch seltsam. Aufgestanden wird in China schon um 6 Uhr, oder noch früher, dafür sind die Straßen um 9 Uhr abends wie leergefegt. Nichts los. Dabei ist das Wetter doch so toll. Aber so was wie Cafés, Biergärten kennen die hier gar nicht. Echt schade.

Auch schade ist, daß es so wenig Ausländer gibt. In meinem Alter sind es gerade mal sieben, darunter nur zwei Deutsche. Das liegt daran, daß Wuhan erst seit ein paar Jahren für Ausländer überhaupt zugänglich ist. Deswegen werden wir auch immer wie Außerirdische behandelt. Das ist echt kraß. Man kann nicht auf die Straße gehen, ohne daß sie einem irgendwas hinterherschreien oder ohne daß man zumindest angestarrt wird. Das geht einem auf die Dauer echt auf die Nerven.

Auch, daß man immer als was Anderes behandelt wird. Ich hab langsam erkannt, daß ich – was ich auch immer anstelle – hier niemals die Chance habe, in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Ich bin immer der Ausländer, was Besonderes, das ist irgendwie schade.

Lehrer sind Studenten

Na ja, jetzt mal Schluß mit dem Negativen. Es gibt auch positive Seiten. Das Leben in der Schule zum Beispiel. Das kann sich keiner vorstellen. Die ganze Wuhan International School besteht nur aus zwei Klassenzimmern, sieben Schülern in der Highschool und vier Schülern in der Primary School. Also da geht's schon ziemlich locker zu, zumal fast alle Lehrer Studenten sind. Das Doofe ist nur, daß im Sommer sehr viele Schüler und Lehrer in ihre Heimat zurückkehren und sich bis jetzt noch kein „Nachschub“ angekündigt hat. Na ja, abwarten und Tee bzw. Reiswein trinken.

Auch so heißt es abwarten. Sicher, in Hinsicht Sprachen, späterer Beruf und auch in Weltoffenheit bringt mir der Aufenthalt hier sicher was. Aber ob ich hier glücklich sein kann oder ob ich irgendwann mal am „Nürnbergheimwehfieber“ erkranke, das wird sich noch herausstellen. Ich werde euch jedenfalls auf dem laufenden halten. KATHRIN STUCKE

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