Mit großer Klappe und festem Biß
Wie man harten Schalen zu Leibe rückt: Nußknacker –
lange Kulturgeschichte eines einfachen Werkzeugs

Mit der Advents- und Weihnachtszeit kommt stets auch die große Zeit der Nüsse. Ob Hasel- oder Walnüsse, Erdnüsse, Peca- oder Paranüsse . . . sie stehen griffbereit inmitten von weihnachtlichem Gebäck, rotbackigen Äpfeln, Mandarinen und Orangen und warten nur darauf, fachmännisch geknackt zu werden. Doch aufgrund ihrer zum Teil ausgesprochen harten Schale, die die begehrte Frucht umgibt, sollte dann auch ein so nützlicher Gegenstand wie ein Nußknacker nicht fehlen.

Bei den modernen Vertretern dieser Gattung handelt es sich zumeist um eine Metallzange mit gezähnten Innenbacken, deren Aufgabe im wesentlichen darin bestehen, die Nuß zunächst festzuhalten und unter dem mittels Hebelwirkung erzeugten Druck schließlich zu knacken. Soweit die Theorie, die sich zum Leidwesen aller Nußliebhaber jedoch nicht so ohne weiteres in die Tat umsetzen läßt: Immerhin gibt es unter den Nüssen besonders hartnäckige Exemplare, denen selbst die Nußzange nichts anhaben kann. Sie verabschieden sich dann in hohem Bogen in die hinterste Ecke unter der Couch oder hinter den nächsten Schrank und müssen, wenn man sie wieder hervorgeholt hat, zu guter Letzt doch mit brachialer Gewalt, indem man sie zertritt oder unter dem Schlag eines gewöhnlichen Hammers zertrümmert, geöffnet werden.

Ein Blick in die Kulturgeschichte des Nußknackers zeigt unterdessen, daß selbst die Hammermethode dort über viele Generationen hinweg ihren angestammten Platz hatte. Doch immer der Reihe nach: Zunächst kann man wohl davon ausgehen, daß die ersten von Menschen verzehrten Nüsse entweder mit den Zähnen aufgebissen oder mit Steinen und anderen festen Gegenständen aufgeschlagen wurden. Da allerdings keine der beiden Methoden auf Dauer zu besonders zufriedenstellenden Ergebnissen geführt haben dürfte, befaßten sich menschlicher Erfindergeist und Experimentierfreude im Laufe der Zeit immer wieder mit dem Vorgang des Nüsseknackens.

Die wohl eleganteste Lösung, die sich die Hebelwirkung paarig angeordneter Holzteile zunutze machte, soll der Überlieferung zufolge im Griechenland der Antike erfunden und bereits im Jahr 343 v. Chr. von Aristoteles erwähnt worden sein. In einer aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert stammenden Grabkammer fand sich jedenfalls im süditalienischen Tarent, einer einstmals großgriechischen Metropole, ein Bronze-Nußknacker in Gestalt von zwei graziös verschränkten Händen mit Schlangenarmreifen und mit einem Scharnier zum Auf- und Zuklappen. Er sollte offenbar stellvertretend für den oder die dort Bestatteten im Totenreich das Öffnen der Nüsse übernehmen.

Hierzulande kannte man derartige Nußknackerwerkzeuge allerdings nur als einfache, aus Holz gefertigte Gebrauchsgegenstände und bezeichnete sie seit den Tagen des Mittelalters ihrer Funktion gemäß als „Nußbrechen“ oder „Nußzangen“. Zunächst als weitgehend schmucklose Gebilde in Gebrauch, wurden die „Hebelbrechen“ recht bald auch verziert. So sind beispielsweise im Wiener Volkskundemuseum Exemplare zu sehen, die mit Kerbschnitten in Form liegender Kreuze verziert worden sind. Sie stammen aus dem 19. Jahrhundert und sollen möglicherweise der großen Gruppe traditioneller Hochzeitsgeschenke zugeordnet werden können. In Anbetracht der Tatsache jedoch, daß es sich bei diesen alten Nußbrechen um echte, großem Verschleiß unterliegende „Werkzeuge“ handelte, haben sich selbst in gut mit Hausrat aller Art bestückten Museen nur wenige dieser alten Exemplare erhalten. Allerdings kannte man seit den Tagen des Manierismus und dem Zeitalter des farben- und formenreichen Barocks hierzulande in vornehmlich „besseren Kreisen“ in zunehmendem Maße auch kunstvoll ausgestaltete Metallzangen, deren End- oder Kopfstücke sich in Menschenköpfe und Löwenmäuler, in Fische und Faune auswuchsen. Dem 19. Jahrhundert sind dann Exemplare wie das gußeiserne Eichhörnchen mit Hebelschwanz, der haselnußbeißende Kakadukopf oder auch das zu seiner Zeit höchst frivol anmutende Paar Damenbeine, das sich in nüsseknackenden Herrenrunden großer Beliebtheit erfreute, zuzurechnen.

Etwas anders verhält es sich mit den sogenannten „menschengestaltigen“ Nußknackern, die spätestens seit dem 16. Jahrhundert im mitteleuropäischen Raum tonangebend waren und den „Nußöffnern“ ihren bis heute bekannten Namen gaben. Sie waren aufwendiger ausgestaltet als die alten Hebelwerkzeuge und jüngere Vertreter ihrer Gattung fanden dann schon weitaus eher den Weg in Museen und private Sammlungen. Auch sie basieren auf dem bewährten Prinzip des Hebelknackers, wobei ein von hinten zu bedienender Hebel durch die geschnitzte Figur geführt wird und auf der Vorderseite als beweglicher Unterkiefer wieder in Erscheinung tritt. Legt man den hölzernen Gesellen nunmehr eine Nuß in ihr zuweilen reichlich überdimensioniert erscheinendes „Maul“ und drückt den Hebel nach unten, wird die Nuß – wie es den Anschein hat – von den Nußknackermännchen oder -weibchen vorschriftsgemäß aufgebissen. Besieht man sich insbesondere die historischen Nußknackergestalten etwas genauer, stellt man schnell fest, daß es sich bei ihnen um echte „Typen“ handelt, denen bisweilen dämonisch-gnomhafte Züge das charakteristische und zuweilen regionaltypische Aussehen verleihen.

Anno 1650 wurden diese hölzernen Gestalten im Berchtesgadener Land erstmals als „Nußbeißer“ der holzverarbeitenden Hausindustrie aktenkundig. Bereits im Fasching des Jahres 1783 tauchen sie dann anläßlich einer Maskenschlittenfahrt der Freisinger Studenten als typisch „Berchtesgadener Ware“ wieder auf und zieren unter dem Titel „Nußbeißer in Gestalt eines Männchens, dessen Maul und Bauch eines ist“ einen der zahlreichen Motivschlitten. 1854 setzte der Frankfurter Heinrich Hoffmann der Nußknackergilde in seinem handkolorierten Kinderbuch „König und Nußknacker und der arme Reinhold“ ein literarisches Denkmal von nicht minder bleibendem Wert als etwa die berühmte „Nußknackersuite“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Letzterer hatte sich im übrigen von der Novelle „Nußknacker und Mäusekönig“ des Berliner Romantikers E.T.A. Hoffmann aus dem Jahr 1816 inspirieren lassen. Um das Jahr 1870 schuf dann ein Spielzeugdrechsler aus dem thüringischen Seiffen in Anlehnung an die Figur des „Könignußknackers“ eine „den Schachthut mit goldenen Kronzacken“ auf dem Kopf tragende Nußknackerfigur, die – aller modischen Konkurrenz zum Trotz – bis heute kaum etwas von ihrer alten Popularität eingebüßt zu haben scheint.

Heike Michel

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